Konfessionsgespräche, bilaterale

Seit mehreren Jahrzehnten stehen Mennoniten im Gespräch mit anderen Kirchen: auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene. Wie intensiv diese Gespräche – im Rahmen der ökumenischen Bewegung – geführt wurden und wie reich ihr geistlicher und konfessionskundlicher Ertrag ist, zeigt sich in den bi- und multilateralen Gesprächsberichten, die von Fernando Enns unter dem Titel Heilung der Erinnerungen – befreit zur gemeinsamen Zukunft (2008) veröffentlicht wurden.

1. Bilaterale Gespräche: ein Überblick

Bilaterale Gespräche um Lehre und Praxis der Kirche waren den Täufern und Mennoniten im reformatorischen Aufbruch nicht fremd (→Religionsgespräche). Im Gegenteil, sie ließen sich solche Gespräche nicht nur aufdrängen, nachdem sie in die Enge getrieben worden waren, sondern suchten sie auch, um ihre abweichenden Auffassungen zu erklären und zu rechtfertigen, um ihre Gegner zu überzeugen und gelegentlich auch um gemeinsam zu größerer Klarheit über den Sinn der biblischen Botschaft zu gelangen. Für die frühen Täufer war das „Gespräch“ geradezu ein Weg zum Aufbau und Erhalt der Gemeinde Jesu Christi, wie John Howard →Yoder in seinen Untersuchungen zu den Gesprächen zwischen Reformierten und Täufern in der Schweiz herausgestellt hat (John Howard Yoder, Täufertum und Reformation in der Schweiz, 1962; ders., Täufertum und Reformation im Gespräch, 1968).

Bei diesen Gesprächen zwischen Täufern und Reformierten handelte es sich aber nicht um Konfessionsgespräche, denn noch hatten sich die Fronten nicht zu starren Konfessionsgrenzen verhärtet. Das geschah erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (→Konfessionalisierung), und dann waren auch die Versuche der Täufer mit Vertretern anderer Kirchen im Sinne der einst geführten Gespräche allmählich zu ihrem Ende gekommen.

Sicherlich gab es noch hier und da Anlässe, um mit Andersgläubigen ins Gespräch zu kommen, doch es überwogen Streit, Zank und Polemik. Gespräche um die Einheit der Kirche, um die es zunächst teilweise noch gegangen war, wurden nicht mehr geführt.

Zu konstruktiven Gesprächen kam es, wie für die anderen protestantischen Konfessionskirchen, die Anglikanische Kirche und die Orthodoxen Kirchen, erst im Zuge der ökumenischen Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts (→Ökumenische Bewegung) und besonders intensiv erst nach der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1948 in Amsterdam. Die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden und die Algemeene Doopsgezinde Societät der niederländischen Mennoniten gehörten zu seinen Gründungsmitgliedern und beteiligten sich fortan an Konferenzen und Beratungen der Kirchen in sogenannten multilateralen Lehrgesprächen, die vor allem von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ausgerichtet wurden. Besonders beteiligt waren die deutschen und niederländischen Mennoniten am sogenannten Lima-Prozess, die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden beteiligte sich auch an der Rezeption des Faith-and-Order-Dokuments über Wesen und Auftrag der Kirchen. Dazu stießen später dann Mennonitengemeinden im Kongo hinzu (die CMCo ist seit 1973 Mitglied des ÖRK). Vertreter der nordamerikanischen Mennoniten waren auf inoffizielle Weise an den Beratungen des ÖRK beteiligt, vor allem wenn das Thema „Krieg und Frieden“ zur Diskussion stand (so in den vom ÖRK initiierten „Puidoux-Konferenzen“ der 1950er und 1960er Jahre zwischen Historischen Friedenskirchen und ehemaligen Staatskirchen). Besonders hervorzuheben ist das Engagement John Howard →Yoders, der nicht nur das Gespräch mit Vertretern anderer Kirchen zum Friedenszeugnis der Kirchen suchte, sondern auch eine Reihe wichtiger Beiträge zur Theologie kirchlicher Einheit vorgelegt hat (John Howard Yoder, The Ecumenical Movement and the Faithful Church, 1958; ders., The Royal Priesthood. Essays Ecclesiological and Ecumenical, 1998). Viele mennonitische Gemeinden und Konferenzen weltweit arbeiten in ökumenischen Gremien auf lokaler und nationaler Ebene mit. Die →Mennonitische Weltkonferenz unterhält zahlreiche ökumenische Kontakte und stellt sich für Gespräche zur Verfügung.

Die Bilateralen Konfessionsgespräche haben sich erst relativ spät entwickelt. Sie haben von der vertrauensvollen Atmosphäre zwischenkirchlicher Begegnung profitiert, die in den multilateralen Gesprächen des ÖRK entstanden war, und die Chance genutzt, die angesprochenen Themen seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts zwischen den Kirchen in bilateralen Gesprächen zu präzisieren und zu vertiefen, um so nach Wegen zu suchen, der Einheit der Kirchen näher zu kommen. Die neuere Tendenz zu bilateralen Gesprächen kam auch dem Bedürfnis der Katholischen Kirche entgegen, sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eher auf bilaterale als auf multilaterale Gespräche einzulassen. So hat diese Art der Gespräche das ökumenische Spektrum der Dialoge erheblich erweitert. Zu unterscheiden ist zwischen nationalen bilateralen Gesprächen, deren Zahl nicht unerheblich und kaum noch zu überschauen ist, und internationalen Gesprächen. Unter den nationalen Gesprächen ist im europäischen Raum vor allem an die Gespräche zwischen lutherischen, reformierten und unierten Kirchen zu erinnern, die zwischen 1964 und 1973 zur Leuenberger Kirchengemeinschaft (heute: Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa) führten. In Deutschland wurden die Gespräche zwischen der Evangelischen Kirche Deutschlands und der anglikanischen Kirche von England (seit 1964) wichtig, ebenso mit der Russisch orthodoxen Kirche (seit 1959) und dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel (seit 1969). Gespräche wurden auch zwischen den lutherischen Kirchen und dem Bund Evangelischer Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) geführt (1980–1981). In Frankreich war es schon früher zu Gesprächen zwischen Katholiken, Reformierten und Lutheranern gekommen (Groupe des Dombes seit 1937). Besonders zahlreich waren bilaterale Dialoge in den USA während der sechziger Jahre. Gespräche auf internationaler Ebene waren seltener, wurden aber nicht weniger konzentriert von den Weltbünden einzelner Kirchen geführt (s. Art. Bilaterale Dialoge, in: Ökumene Lexikon, Sp. 256 f.).

Die Mennoniten sind erst relativ spät in bilaterale Gespräche eingetreten: mit den Reformierten in den Niederlanden 1975–1978 und in der Schweiz 2006–2009, Gespräche zwischen dem Reformierten Weltbund und der Mennonitischen Weltkonferenz fanden bereits 1984 (Straßburg) und 1989 (Calgary) statt, theologische Gespräche zwischen dem Baptistischen Weltbund und der Mennonitischen Weltkonferenz 1989–1992. In Frankreich fanden offizielle Gespräche zwischen Lutheranern und Mennoniten 1984 statt, und in Deutschland wurden bilaterale Gespräche mit der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche und der →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) zwischen 1989 und 1992 geführt (s. Berichte und Erklärungen in: Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen, 153–181). Ähnliche Gespräche zwischen Lutheranern und Mennoniten gab es zwischen 2002 und 2004 in den USA und auf internationaler Ebene zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Mennonitischen Weltkonferenz zwischen 2005 und 2008 (s. Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen, 183–201). Schließlich wurde der bedeutsame internationale Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der Mennonitischen Weltkonferenz 1998 einberufen, der 2003 in die gemeinsame Erklärung Gemeinsam berufen, Friedenstifter zu sein mündete (Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen, 29–132; ebenso: Fernando Enns und Hans-Jochen Jaschke (Hg.), Gemeinsam berufen, Friedensstifter zu sein, 2008).

In den bilateralen Dialogen sind die Kirchen einander näher gekommen und haben bei einzelnen Themen, z. B. der Taufe oder dem Friedenszeugnis, zu bemerkenswerten Annäherungen geführt. Um diese Dialoge nicht diffus werden zu lassen und sie mit den multilateralen Beratungen zu verknüpfen, hat der ÖRK 1974 und 1978 wichtige Konsultationen durchgeführt und die gemeinsamen Vorstellungen von der Einheit der Kirche als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ (1974) zusammengefasst (The Three Reports of the Forum on Bilateral Conversations, 1981).

Mennoniten betraten mit der Einwilligung zu bilateralen Gesprächen ein für sie neues Gelände. Lehrgespräche zu führen, bedeutet, von verbindlichen Bekenntnisschriften oder einer ausgereiften Theologie her Aussagen zu formulieren, die in den Kirchen mit allgemeiner Akzeptanz rechnen können. Im Mennonitentum gibt es jedoch keine Bekenntnisschriften (→Bekenntnisse), die einen Lehrkonsens festgehalten haben, auch ist die Arbeit an einer mennonitischen Theologie bisher nicht in der Weise vorangetrieben worden, wie das in anderen konfessionellen Traditionen üblich ist (→Theologie). Diese Besonderheiten bringen es mit sich, dass die mennonitischen Gesprächspartner ausgesprochen umsichtig und gelegentlich auch vorsichtiger formulieren müssen, um der Pluralität theologischer Anschauungen im weltweiten Mennonitentum gerecht zu werden und eine Verbindlichkeit ihrer Aussagen anzustreben.

2. Gespräche zwischen Reformierten und Mennoniten

Die Begegnungen zwischen Reformierten und Mennoniten in den Niederlanden 1975–1978 schlossen auch die Baptisten ein, so dass die Kirchen täuferischer Tradition mit verschiedenen reformierten Kirchen ins Gespräch traten und sich um folgende Themen bemühten: Der Bund im Alten und Neuen Testament, das Verhältnis von Wort und Geist, Christologie, das Kirchenverständnis, Taufe und der messianische Weg des Lebens (Ethik). Dieses Gespräch wurde als Dialog zwischen „Zwillingsschwester-Kirchen“ bezeichnet (Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen, 21). Damit wird die besonders enge Ausgangssituation der Beziehungen zwischen Täufern und Reformierten bezeichnet, und so blieb es nicht aus, dass 1983 in Zürich zu einem gemeinsamen Abendmahlsgotttesdienst zwischen Reformierten, Baptisten und Mennoniten eingeladen wurde, in dem die Reformierte Kirche des Kantons Zürich ein Schuldbekenntnis in Form eines Gebets formulierte (Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen, 219 f.) und auf diese Weise eine überaus günstige Voraussetzung für die Einberufung bilateraler Gespräche auf Weltebene geschaffen hat. Aufgrund des gemeinsamen reformatorischen Erbes konnten weitreichende theologische Konvergenzen erzielt werden: solus Christus, sola scriptura, sola gratia und sola fide, die gemeinsame Betonung der Heiligung des Lebens – in Abhängigkeit von der Rechtfertigung aus Gnade und im Anschluss an die täuferische Deutung der Nachfolge Christi. Die Dimension der Gemeinschaft wird auf beiden Seiten betont, wenn auch unterschiedlich, so doch in gemeinsamer Opposition zu „Sakramentalismus und Ritualismus“. Gegenüber der Reformationszeit haben sich die kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend geändert. Inzwischen befinden sich nicht nur die täuferischen, sondern auch die reformierten Kirchen in einer Minderheitensituation und sind aufgerufen, eine gemeinsame gesellschaftliche Partizipation im Zeitalter der Säkularisation mit dem Ziel der Erneuerung anzustreben. So rücken für beide Konfessionen die Fragen der Gewaltlosigkeit, der christlichen →Nachfolge, der →Taufe und der →Eschatologie ins Zentrum der Beratungen. Beide Konfessionen bekennen gemeinsam die verändernde Funktion des christlichen Glaubens in Bezug auf die herrschende Kultur.

In Erinnerung an die Verdammungen der Täufer in den reformierten Bekenntnisschriften wurden die Diskussionen schließlich auf die neuralgischen Trennungspunkte von einst konzentriert: Taufe, Friedensethik und das Verhältnis von Kirche und Staat. Hier kam es zu einer vertieften gegenseitigen Klärung der Probleme mit dem Ergebnis von reformierter Seite, dass „die Verwerfungen den heutigen mennonitischen Partner nicht treffen und der Gemeinschaft nicht im Wege stehen dürfen“ (Fernando Enns, Heilung der Erinnerungen, 23). Schließlich kam es zu der gemeinsamen Diagnose, dass nicht allein zwischen den Konfessionen, sondern auch innerhalb der jeweiligen kirchlichen Tradition Divergenzen in entscheidenden Lehrmeinungen bestehen.

Damit war der Grund für ausgesprochen freundlich und konstruktiv verlaufende Gespräche zwischen Reformierten und Mennoniten in der Schweiz gelegt (2006–2009). Unter besonderer Betonung pastoraler Absichten, die mit diesen Gesprächen verbunden waren, sind weiterführende Übereinstimmungen zu Problemen der Taufe und der →Ekklesiologie erreicht worden. Selbst wenn nicht alle Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt werden konnten (vor allem nicht zu allen Aspekten der Tauftheologie und zu Einstellungen des Pazifismus sowie dem gesellschaftlichen Engagement der Christen), wurde doch festgestellt, dass die verbliebenen Differenzen ihren kirchentrennenden Charakter weithin verloren haben. Besonders eindrucksvoll ist in dem Gesprächsdokument nicht nur das Schuldbekenntnis der Reformierten erneuert, sondern auch die Mitschuld der Mennoniten an der Trennung und der Entfremdung voneinander beschrieben worden (Christus ist unser Friede, 63–65). Beiden Kirchen wurde empfohlen, fortan „füreinander und miteinander zu leben“ (ebd., 66).

3. Gespräche unter Verwandten: Mennoniten und Baptisten

Auch in den Gesprächen zwischen Baptisten (→Baptismus) und Mennoniten ging es zunächst darum, die jeweilige Geschichte und Theologie so darzustellen, dass es zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und zur Erforschung neuer Bereiche der Übereinstimmung im ökumenischen Kontext kommen kann. Dass sich zwischen Baptisten und Mennoniten eher Konvergenzen einstellen als zwischen Mennoniten und anderen reformatorischen Kirchen, wird nicht überraschen, da sich sowohl Baptisten als auch Mennoniten auf den gemeinsamen Wurzelboden ihrer theologischen Auffassungen im Täufertum des 16. Jahrhunderts berufen und nach außen hin vor allem durch die Praxis der Glaubenstaufe (→Taufe I-III) besonders in Erscheinung treten.

Für beide ist Kirche zunächst und vor allem die Versammlung der Glaubenden, eine freiwillige Gemeinschaft in klarer Trennung vom Staat. Konsequenterweise sind beide kongregationalistisch strukturiert und lassen sich gemeinsam als evangelische Freikirchen sowie als „non-creedal-churches“ (nicht an Bekenntnisschriften gebunden) zusammenfassen. Daraus ergibt sich auch die auffällig ekklesiozentrische Gliederung der Gesprächsgänge. Deutlich ist aber auch geworden, dass die historischen Wurzeln im Täufertum nicht so stark sind, um bilaterale Gespräche mit dem Ziel, der Einheit der Kirche zu dienen, zum schnellen Erfolg zu führen. Wohl gibt es eine Wahlverwandtschaft im Gemeindeverständnis der Baptisten und der Täufer, historisch aber ist der Baptismus im Kontext des englischen Puritanismus und Separatismus im frühen 17. Jahrhundert entstanden. Das erklärt auch eine markante Grunddifferenz zwischen Mennoniten und Baptisten. Mennoniten betonen stärker die Verpflichtung der Gemeinde in der Nachfolge Christi und sprechen in neuerer Zeit wiederholt von einer korporativen Nachfolge, die auch eine besondere Verantwortung der Kirche für Staat und Gesellschaft einschließt, ohne sich deren politischen und sozialen Normen zu unterwerfen. Baptisten betonen dagegen stärker den religiösen Individualismus. Daher zielt die →Mission der Kirche bei Mennoniten auch nicht primär auf die Bekehrung Einzelner, sondern eher auf karitative Hilfe und Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden in gesellschaftlichen Konflikten und in Krisengebieten. Während Mennoniten – vor allem in Nordamerika – an einem generellen Ethos der Gewaltfreiheit festhalten, neigen Baptisten dazu, die Lehre vom „gerechten Krieg“ zu vertreten und sich nicht zum radikalen Pazifismus zu bekennen.

Diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind in den bilateralen Gesprächen deutlich zutage getreten und legen es nahe, noch einmal intensiv miteinander zu beraten, wie stark die kirchentrennende Kraft dieser unterschiedlichen Akzente tatsächlich ist und ob nicht doch Wege gefunden werden können, in gemeinsamen Gottesdiensten, diakonischer Arbeit, theologischer Ausbildung der Prediger und Beratungen über den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche in den Krisenherden von Staat und Gesellschaft näher zusammenzurücken.

4. Dialog zwischen Lutheranern und Mennoniten

Das Verhältnis zwischen Lutheranern und Mennoniten ist überschattet durch die Verwerfungssätze über die „Wiedertäufer“ in der Confessio Augustana (CA), dem lutherischen Bekenntnis von 1530 (→Bekenntnisschriften). Im Wesentlichen geht es um die Verwerfungen in den Artikeln IX (Taufe) und XVI (Obrigkeit). Diese lieferten zusammen mit anderen Äußerungen von lutherischer Seite die theologische Rechtfertigung für die →Verfolgung der Täufer. Da die CA bis heute Lehrgrundlage aller lutherischen Kirchen weltweit ist, war eine Aufarbeitung in Zeiten ökumenischer Annäherung nötig. Ein erstes Signal in dieser Richtung kam von lutherischer Seite anlässlich des 450-jährigen Jubiläums der CA, nachdem die →Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden zwar die Einladung zu den Feierlichkeiten angenommen, jedoch auf die Problematik der Verwerfungen hingewiesen hatte.

Nach Kontakten auf verschiedenen Ebenen kam es zunächst von 1981 bis 1984 zu einem ersten Dialog in Frankreich. Das Dialogdokument beschreibt große Übereinstimmungen im Heilsverständnis und auf dem Felde der Anthropologie und Soteriologie. Die bestehenden Unterschiede seien nicht bedeutend, und auch innerhalb der jeweiligen Kirchen würden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Divergenzen werden im Taufverständnis festgehalten, auch wenn es im Grundverständnis Übereinstimmungen gibt. Schließlich widmet sich der Text dem Bereich des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Dabei wird festgehalten, dass sich auf mennonitischer Seite seit dem 16. Jahrhundert deutliche Verschiebungen ergeben haben und Mennoniten heute der Gesellschaft und der staatlichen Ordnung positiver gegenüberstehen als in früheren Jahrhunderten. Dennoch ist bei den Mennoniten eine größere Zurückhaltung gegenüber der Übernahme rein politischer Ämter zu beobachten als auf lutherischer Seite – vor allem, wenn damit die Anwendung von Gewalt verbunden ist. Im dritten Teil des Dialogdokuments stellt die lutherische Seite fest, dass die Verwerfungen der CA zur Verfolgung der Täufer beigetragen haben und dass auch die Tatsache der schwer überschaubaren Vielfalt der täuferischen Bewegungen dies nicht entschuldigen kann. Die lutherische Seite drückt ihre Reue darüber aus und bittet die Mennoniten um Verzeihung. Die französischen Mennoniten nehmen dies dankbar an. Beide Seiten erklären, dass sie grundsätzlich auch Christen anderer Konfession, die getauft sind und sich zu Christus bekennen, teils unter bestimmten Bedingungen, zum →Abendmahl zulassen können.

In den Jahren 1989 bis 1992 kam es zunächst zu sogenannten Kontaktgesprächen zwischen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) in Deutschland. Auch hier sind die Verwerfungen der CA der Ausgangspunkt. Bei einigen wird festgestellt, dass sie schon im 16. Jahrhundert die Lehre der Täufer nicht wirklich im Blick hatten. Es wird eingestanden, dass die abgelehnten Positionen zu pauschal wiedergegeben und auch von politischen Motiven bestimmt waren. In einem eigenen Abschnitt wird auch hier bekannt, dass die Verfolgung der Täufer ein schuldhaftes Geschehen war, das durch die Verwerfungen der CA begünstigt wurde und das bis heute die Beziehungen belastet. Auch in dem deutschen Dokument werden die bis heute strittigen Bereiche der Taufe und der Beziehung zu Staat und Gesellschaft ausführlich behandelt. Im Vergleich zur Situation in anderen Ländern macht es die Tatsache, dass in der AMG bei einem Übertritt von Menschen, die als Kleinkinder getauft wurden, eine Taufwiederholung nicht verlangt wird, der lutherischen Seite leichter (→Taufe III). Nach Ansicht der lutherischen Gesprächsteilnehmer treffen die Verwerfungen der CA die heutigen Gesprächspartner nicht, und den weiter bestehenden Unterschieden ist keine kirchentrennende Bedeutung zuzumessen. Im Unterschied zu den Gesprächen in Frankreich folgte in Deutschland ein formaler Rezeptionsprozess in beiden Kirchen. Die lutherische Seite (Ökumenischer Studienausschuss der VELKD, VELKD-Kirchenleitung) machte sich das Gesprächsergebnis zu eigen und erklärte ausdrücklich eucharistische Gastbereitschaft, was die z. T. diskriminierenden Empfehlungen des in der lutherischen Kirche in Deutschland verbreiteten konfessionskundlichen Handbuches Religiöser Gemeinschaften im Umgang mit Mennoniten beim Abendmahl aufhob. Auf mennonitischer Seite wurde das Dialogdokument allen Gemeinden zur Stellungnahme vorgelegt und von diesen kommentiert und bis auf wenige Vorbehalte einzelner Gemeinden mit großer Mehrheit angenommen. Die Rezeption auf beiden Seiten führte schließlich 1996 zu zwei gemeinsamen Abendmahlsgottesdiensten in Hamburg und Regensburg, in denen die lutherische Seite in einer gemeinsam erarbeiteten Liturgie die Bitte um Vergebung aussprach und die mennonitische Seite dieser Bitte entsprach und ihrerseits vielfache geistliche Überheblichkeit gegenüber Lutheranern in ihrer Geschichte bedauerte. An beiden Gottesdiensten waren auch die nicht-lutherischen Kirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beteiligt, die die Feststellungen der VELKD für sich übernahmen.

In beiden Dialogen wurde die Frage nach der aktuellen theologischen Bedeutung lutherischer Bekenntnisse aufgegriffen, insbesondere nach der Aktualität der Verwerfungen. Es bleibt eine gewisse Spannung zwischen der Aussage, dass die Verwerfungen die heutigen Mennoniten nicht treffen, und dem Festhalten an der Gültigkeit des Bekenntnisses, einschließlich der Verwerfung bestimmter theologischer Positionen. Es wird allerdings unmissverständlich klargestellt, dass es nicht um die Verwerfung von Menschen geht, sondern um die Verwerfung theologischer Auffassungen. Erst der nächste Dialog, der in den USA zwischen der Mennonite Church USA und der Evangelical-Lutheran-Church in America 2002 bis 2004 stattfand, führte zu einer Aufforderung an den Lutherischen Weltbund (LWB), die Frage nach der Bekenntnishermeneutik im Hinblick auf die lutherischen Bekenntnisse zu bearbeiten und vor allem die Frage nach der historischen und gegenwärtigen Bedeutung der Verwerfungen gemeinsam mit der Mennonitischen Weltkonferenz (MWK) zu erörtern. Dies fiel auf fruchtbaren Boden, zumal es seit den späten 1990er Jahren zwischen den Generalsekretären beider Organisationen bereits informelle Gespräche gegeben hatte. Daraus erwuchs die Internationale lutherisch-mennonitische Studienkommission, die im Auftrag des LWB und der MWK von 2005 bis 2008 arbeitete.

Die Ergebnisse der nationalen Dialoge wurden gesichtet und die einzelnen Themen in ähnlicher Weise bearbeitet. Die große Verschiedenheit der theologischen Positionen und der entsprechenden Praxis in den Mitgliedskirchen der MWK stellt gegenüber den nationalen Dialogen eine neue Herausforderung dar. Gerade in den beiden strittigsten Bereichen, nämlich der Taufwiederholung bei Übertritt und des Verhältnisses von Kirche und Staat zueinander, ist die Situation in mennonitischen Gemeinden nicht einheitlich. Weltweit gesehen werden Menschen, die als Säuglinge getauft waren, beim Übertritt in den mennonitischen Gemeinden in der Regel getauft. Nur wenige Gruppierungen und Einzelgemeinden gehen hier einen anderen Weg, wie z.B. in Deutschland.

Der entscheidende Beitrag dieses internationalen Dialogs ist jedoch in der Aufarbeitung der Geschichte und davon ausgehend in der Beurteilung der Verwerfungssätze der lutherischen Bekenntnisschriften zu sehen. Außergewöhnlich ist das gelungene Bemühen, die konfliktreiche Geschichte des 16. Jahrhunderts gemeinsam zu erzählen. Dies war bis dahin nicht möglich gewesen und bedeutet einen großen Schritt hin zu mehr Verständigung und größerer Gemeinsamkeit. Der Titel des Abschlussberichtes Heilung der Erinnerungen erwuchs aus diesem gemeinsamen Erzählen. Für Mennoniten bedeutsam sind dabei die klaren Aussagen zu den vielfältigen, auch politischen Hintergründen der CA. Ziel war einst, die Einheit mit der katholischen Kirche zu bewahren, was zur scharfen Abgrenzung von radikaleren reformatorischen Entwürfen, wie denen der Täufer führte. Auch wird deutlich aufgezeigt, dass und wie die Verwerfungen der CA und einzelne Aussagen der lutherischen Seite als theologische Legitimation für die blutige Verfolgung der Täufer dienten. Hinzu kommt die Entkräftung früherer Argumente, die sich hinter der allgemeinen Unübersichtlichkeit der Situation und der daraus sich ergebenden Unkenntnis der täuferischen Seite sowie der damals einfach üblichen härteren Gangart in der theologischen Auseinandersetzung versteckten. Der lutherische Theologe Johannes →Brenz wird als Gegenbeispiel angeführt. Er hatte sich deutlich gegen die Verfolgung der Täufer ausgesprochen, sich aber nicht durchsetzen können. Hilfreich sind die weiterführenden Aussagen zur aktuellen Bedeutung der einzelnen Verwerfungen. Sie stellen Weichen für eine aktuelle lutherische Bekenntnishermeneutik. So wird zur Verwerfung in CA XVI im Zusammenhang mit der Kriegsdienstverweigerung festgestellt, dass es für Lutheraner aufgrund verschiedener Entwicklungen und eigener kritischer Haltungen heute nicht länger möglich sei, andere pazifistische Positionen zu verwerfen. Selbst wenn es weiterhin Unterschiede in den theologischen Positionen zu dieser Thematik gibt, ist es für Lutheraner nicht mehr angemessen, dies mit dem Begriff der Verwerfung im Hinblick auf die andere Kirche auszudrücken.

Das zeigt deutlich, wie Lutheraner aktuell mit dem historischen Text ihres Bekenntnisses umgehen. Er wird zwar nicht verändert, aber doch auf lebhafte Weise ins Gespräch gezogen. In der Frage der Taufe (CA IX) ist es schwieriger. Hier steht im Raum, dass viele mennonitische Kirchen weltweit bei Übertritten von Menschen, die als Kinder getauft wurden, den Vollzug der Erwachsenentaufe zur Aufnahmebedingung erklären. Diese Taufhandlung wird von lutherischer Seite als Wiedertaufe gewertet und als theologische Position verworfen. Gleichzeitig beschreibt das Dokument jedoch theologische und pastorale Entwicklungen im Taufverständnis sowie entsprechende Missverständnisse, die auf beiden Seiten der Debatte aufgrund unterschiedlicher Zusammenhänge entstanden sind, in denen das Thema jeweils in Erscheinung tritt. So zeigt sich, dass auch für Mennoniten die Taufe unwiederholbar ist und nicht als Wiedertaufe betrachtet wird. Hier werden noch weitere theologische Gespräche für nötig gehalten, um den kirchentrennenden Charakter der bestehenden Divergenz in diesem Punkt vollständig zu überwinden.

Der LWB und die MWK rezipierten das Ergebnis der Studienkommission in ihren jeweiligen Organen, informierten ihre Mitgliedskirchen und veröffentlichten den Text in mehreren Sprachen. Der LWB machte sich die Empfehlungen der lutherischen Teilnehmer dieser Gesprächskommission zu eigen und bat die MWK anlässlich seiner Vollversammlung in Stuttgart 2010 öffentlich um Vergebung für das Unrecht und das Leid, das den Täufern widerfahren sei. Die MWK nahm diese Bitte an und bekannte, dass es auf Seiten täuferisch-mennonitischer Kirchen immer wieder geistlichen Hochmut gegenüber Lutheranern gegeben habe, für die sie ihrerseits die lutherischen Geschwister um Vergebung bitten. Im abschließenden Abendmahlsgottesdienst der Stuttgarter Versammlung war der Präsident der MWK, Danisa Ndlovu, in die Liturgie eingebunden, und die mennonitischen Gäste waren zur Mahlfeier eingeladen worden. Der Dialog zwischen Mennoniten und Lutheranern wird in der Ökumene als beispielhaftes Lehrstück dafür betrachtet, wie sich Kirchen mit einer langen Geschichte der Trennung und mit durchaus bestehenden gravierenden Unterschieden auf einen Versöhnungsprozess einlassen und einander trotz bestehender ernsthafter Differenzen als Geschwister annehmen können.

5. Ungleiche Dialogpartner: Katholische Kirche und Mennonitische Weltkonferenz

„Im Geist der Freundschaft und Versöhnung“ fanden Gespräche zwischen dem Päpstlichen Rat der katholischen Kirchen zur Förderung der Einheit der Christen und Vertretern der MWK statt, die inzwischen zu einem umfangreichen gemeinsamen Bericht geführt haben: Gemeinsam berufen, Friedensstifter zu sein (2008). Die beiden Gesprächspartner konnten unterschiedlicher kaum sein: hier eine zentralistisch und klerikal strukturierte Weltkirche, die bisher ganze Länder und Kontinente mit geprägt hat, und dort eine radikal kongregationalistisch verfasste Minderheitskirche, hier eine Kirchenhierarchie, die über die Reinheit der christlichen Lehre wacht, und dort Gemeinden, in denen die Laien ein entscheidendes Wort sprechen und in denen die praktische Lebensgestaltung in der Nachfolge Christi den Vorrang vor der Lehre hat, hier sogar ein eigener „Staatsapparat“ mit diplomatischen Beziehungen zu Regierungen in aller Welt und dort eine „Friedenskirche“, die sich auf die pazifistisch gesinnten Täufer der Reformationszeit beruft und auf Distanz zu jeder Form von staatlichem Zwang oder staatlicher Machtausübung geht. Um so erstaunlicher ist, dass von beiden Gesprächspartnern der Friede zur Mitte des Evangeliums und zu einem besonders zwingenden Grund für den Dialog erklärt wird.

Die Ursachen der Trennung liegen im reformatorischen Aufbruch des 16. Jahrhunderts. Handfeste Kritik am Klerus (→Antiklerikalismus) auf der einen Seite, weil Laien um ihr Heil bangten und sich von der kirchlichen Hierarchie im Stich gelassen fühlten; Verfolgung, Folter und Hinrichtungen als Antwort auf Ketzer bzw. Aufrührer auf der anderen Seite. Die Folge waren schreckliche Erinnerungen, die Jahrhunderte überdauerten und bis in die Gegenwart das Bild der Mennoniten von den Katholiken und der Katholiken von den Mennoniten entstellt haben. So ist es ein verheißungsvoller Neubeginn, wenn beide Gesprächspartner es einander zutrauen, aus der Mitte des Evangeliums zu leben, Frieden zu stiften, wo Unfrieden herrscht, und sich jetzt gemeinsam auf den Weg zu einer „versöhnten Gemeinschaft“ begeben.

Das Schlussdokument der bisherigen Gespräche hat drei Schwerpunkte: eine gemeinsame Betrachtung der gemeinsamen Geschichte, das Kirchenverständnis und das Friedenszeugnis.

(1) Da die theologische Polemik fortwährend „Negativbilder und verengte Stereotypen“ erzeugt hat (S. 28), war es ratsam, den gemeinsam zurückgelegten Weg der Kirchengeschichte noch einmal gemeinsam in den Blick zu nehmen, um die Trennungen genauer zu verstehen als bisher, die Willkür im Umgang mit dem anderen und die Zwänge zu erkennen, einmal eingeleitete Entwicklungen nicht mehr aufhalten zu können, auch verschüttete Gemeinsamkeiten wieder freizulegen und im Vertrauen auf den guten Willen des anderen gemeinsame Aufgaben für die Zukunft zu beschreiben. So sind neuere historische Studien zur Kenntnis genommen worden, die auf mittelalterliche Quellen einer Spiritualität verweisen, die Katholiken und Mennoniten gemeinsam ist. Dazu zählt vor allem die Frömmigkeit, die in den Schriften der Mystik (Meister Eckhart, Johannes Tauler, Theologia Deutsch und Frauenmystik) einen Ausdruck fand und auch den Laien zugänglich war. Dazu zählt ebenso der Gedanke der Nachfolge Christi, wie er im Geiste der Devotio Moderna unters Volk gebracht wurde, zuletzt in den Schriften des →Erasmus von Rotterdam. Zu den Entwicklungen, in denen sich die schmerzhaften Trennungen vollzogen haben, gehören die so genannte →Konstantinische Wende mit der engen Verknüpfung von weltlicher Obrigkeit und Kirche, wie sie im Mittelalter, in der Reformationszeit bis in die Gegenwart auf die eine oder andere Weise den Weg der Kirche bestimmt hat. Katholiken haben in der konstantinischen Wende eine Chance für die Kirche gesehen, sich an der Gestaltung von Staat und Gesellschaft zu beteiligen und Prinzipien des christlichen Ethos zur Geltung zu bringen. Mennoniten haben in dieser Wende einen „Abfall“ der Kirche von der Friedensbotschaft Jesu gesehen, sie haben versucht, mit einfachen Mitteln die ursprüngliche Kirche zu „restituieren“ und in der Nachfolge Jesu den Weg des Leidens und des Kreuzes zu gehen und auf diese Weise ein Zeugnis von der Versöhnungsabsicht Gottes abzulegen. Hier sind die Unterschiede zwischen beiden Kirchen noch erheblich. Bewusst geworden ist aber, dass die Perspektiven, unter denen die Probleme der konstantinischen Wende betrachtet werden müssen, sich verändert haben: Katholiken beginnen zu ahnen, dass sie von den Erfahrungen, zur Minderheit in dieser Welt zu werden, nicht verschont bleiben, und Mennoniten sehen sich im veränderten Staats- und Gesellschaftsverständnis der Neuzeit verpflichtet, mehr als bisher Verantwortung auch dafür zu übernehmen, was außerhalb ihrer Gemeinden geschieht.

(2) Deutlich geworden ist den Dialogpartnern, dass Katholiken und Mennoniten in ihrem Kirchenverständnis näher beieinander sind, als bisher angenommen werden konnte. In beiden Traditionen ist sehr viel Wert auf die „Sichtbarkeit“ der Kirche gelegt worden. „Wir sind uns einig, dass die Kirche eine sichtbare Gemeinde der Gläubigen ist, die ihren Ursprung in der göttlichen Berufung hat, ein treues Volk zu sein in jeder Zeit und an jedem Ort“ (Abschn. 97). Die Kirche nicht mehr über die Hierarchie des Klerus zu definieren, wie es noch in der Reformationszeit der Fall war, sondern über das „Volck“ der Gläubigen, geht auf das Zweite Vatikanische Konzil zurück und kommt der ökumenischen Diskussion um das Kirchenverständnis entgegen. Dieser Begriff, zu dem die Täufer und Mennoniten stets eine besondere Affinität hatten, ist tatsächlich geeignet, die konkrete empirisch-anschauliche Gestalt der Kirche in der Welt zu beschreiben. „Volk Gottes“ schließt alle ein, die durch die Taufe in den Leib Christi eingegliedert werden, dort „in der Christusähnlichkeit“ wachsen können und in der Eucharistie bzw. im Abendmahl als Gemeinschaft „mit dem dreieinigen Gott und untereinander“ gestärkt werden (Abschn. 95). So ist wahre Kirche nicht die „ecclesia invisibilis“, wie es als Nachwirkung des spätmittelalterlichen Augustinianismus bis tief in den Protestantismus immer noch heißt, sondern „ecclesia visibilis“. In ihr zeigt sich, dass „die Kirche die neue Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen ist, die in die Welt gesandt sind, das Reich Gottes zu verkünden und einen Vorgeschmack der herrlichen Hoffnung der Kirche zu geben“ (Abschn. 99). In der Sichtbarkeit der Gemeinde wird für beide Kirchen zum Ausdruck gebracht, dass die Glaubenden an einer Wirklichkeit teilhaben, die nicht von dieser Welt ist, die aber in diese Welt auszustrahlen vermag (Abschn. 97). In der Sichtbarkeit der Gemeinde zeigt sich auch die Verpflichtung der Gemeindeglieder, für diese Gemeinschaft einzustehen und nach einem Leben zu streben, das „durch die Hingabe an Christus und das Wort Gottes motiviert ist und in einer Spiritualität der Nachfolge und des Gehorsams verwirklicht wird“ (Abschn. 101). Für die Katholiken findet die Kirche ihre Konkretion eher im „Sakrament des Heils“, während sie für die Mennoniten stärker in der Nachfolge Christi zum Ausdruck gebracht wird. Für beide aber gilt grundsätzlich beides.

Sichtbar sind nicht nur die auf hohem Abstraktionsniveau beschriebenen Merkmale der Kirche, sondern auch die konkreten Formen des gottesdienstlichen Lebens, habituelle Einstellungen der Gemeindeglieder zum Priester, zum Umgang mit Brot und Wein in der Eucharistie, mit Bildern der Heiligen, Beichte und Absolution auf katholischer Seite, ebenso die Profanität der Gotteshäuser, die Respektlosigkeit gegenüber dem Sakralen und die Alltäglichkeit gottesdienstlicher Versammlungen auf mennonitischer Seite. Die religiöse Mentalität der Katholiken unterscheidet sich zutiefst von dem religiösen Lebensstil der Mennoniten. Diese Unterschiede werden in den beschriebenen ekklesiologischen Merkmalen sichtbar und die Gemeinsamkeiten im sozialen Milieu, den Gewohnheiten und Ritualen des allgemeinen Verhaltens. So schnell wird sich nicht verändern lassen, was trennend zwischen den Kirchen steht, so optimistisch das Schlussdokument auch klingen mag. Hilfreich ist, dass der eschatologische Aspekt des Kirchenverständnisses herausgestellt wurde. Die Kirche ist tatsächlich „Vorgeschmack des Reiches Gottes“ und, was nicht stark genug zum Ausdruck gebracht wurde, steht damit auch unter einem eschatologischen Vorbehalt. Was die Kirchen gegenseitig belastet und ihre Einheit beeinträchtigt, steht unter dem Gericht, ist nur provisorisch und vorläufig, alles, was an ihr sichtbar ist, wird im vollendeten Reich Gottes anders sein. Das ist für die Kirchen – als Institutionen dieser Welt – bedrohlich und tröstlich zugleich.

(3) Die Verpflichtung, Frieden zu stiften, sehen römische Katholiken und Mennoniten gemeinsam in der Zuwendung Gottes, der ein „Gott des Friedens“ ist (Rö. 15, 23), zu den Menschen. Im Kreuz Christi, dem Grundgeschehen dieser Zuwendung, wird die „zentrale Stellung der Liebe, einschließlich der Feindesliebe“ im menschlichen Leben offenbart (Abschn. 180). Allerdings sind die Folgerungen, die Katholiken und Mennoniten daraus ziehen, nicht immer dieselben. Zunächst aber besticht, wie zahlreich und grundlegend die Konvergenzen sind, die sich für beide daraus ergeben, dass „Versöhnung, Gewaltlosigkeit und aktives Friedenstiften zur Mitte des Evangeliums“ gerechnet werden (Abschn. 179). Dass die katholischen Gesprächspartner bereit waren, den Gedanken der Nachfolge Jesu, der in der täuferisch-mennonitischen Tradition eine so zentrale Bedeutung hat, in die Überlegungen zur Ethik des Friedens aufzunehmen, hat sicherlich dazu beigetragen, dass gemeinsam formuliert werden konnte: „Beide Gemeinschaften sind bestrebt, Tugenden des Friedens zu pflegen: Vergebung, Feindesliebe, Achtung vor dem Leben und der Würde anderer, Mäßigung, Sanftmut, Erbarmen und den Geist des Selbstopfers“ (Abschn.184). Für Katholiken und Mennoniten wird Kirche zu einer „Institution des Friedens“.

Das schließt aber nicht aus, dass noch Divergenzen bestehen bleiben. Katholiken unterhalten ein engeres Verhältnis zur politischen Führung der Staaten, in denen sie leben. Sie sehen in der Teilnahme an der Arbeit der Regierung einen „Beitrag zum Gemeinwohl“ und verweigern sich nicht dem „Militärdienst“ (Abschn. 186). Mennoniten neigen dazu, nach einer „langen Geschichte von Verfolgung und Diskriminierung (…) dem Staat zu misstrauen“, auch neigen sie in weiten Teilen der Welt noch heute dazu, „eine Einbeziehung von Christen in die Regierung wegen der damit verbundenen Anwendung von Gewalt und der möglichen Korruption der Macht kritisch zu betrachten“ (Abschn. 186). Für Katholiken ist eine begrenzte Gewaltanwendung im Sinne einer Theorie des „gerechten Krieges“ zu rechtfertigen, während die Mennoniten, wo sie sich um eine konsequente Form der Gewaltfreiheit bemühen, jede militärische Gewaltanwendung ablehnen. Trotz solcher Divergenzen sprechen Katholiken und Mennoniten einander nicht mehr die gute Absicht ab, sich aktiv für den Frieden untereinander und in der Welt einzusetzen. Dazu gehört aber auch die Einsicht, sich weiterhin gemeinsam über die angemessenen Wege zu Einheit und Frieden in Kirche, Gesellschaft und Staat verständigen zu müssen.

6. Siebenten-Tags-Adventisten und Mennonitische Weltkonferenz

2011 begann auf Weltebene der bilaterale Dialog zwischen der MWK und der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (17 Millionen erwachse getaufte Mitglieder in 206 Ländern). Adventisten und Mennoniten wenden sich gemeinsam gegen den Kriegsdienst und setzen sich für Frieden und Religionsfreiheit ein. Beide Traditionen führen ihre Wurzeln auf die Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts zurück. Die erste Beratung unter der Leitfrage „Christsein in der heutigen Welt“, konzentrierte sich denn auch stark auf gemeinsame Anliegen: Frieden, Gewaltlosigkeit und Militärdienst, Jüngerschaft und Nonkonformität, Gesundheit, Heilung, Ökologie sowie Wesen und Auftrag der Kirche. Die gemeinsam herausgegebene Erklärung betont die Ehrlichkeit und Offenheit der Gespräche. Gemeinsam sehen sich beide Traditionen herausgefordert, „Nonkonformität“ in Gesellschaften zu leben, die von Individualismus und einem sinkenden Bewusstsein für die traditionellen Lehren und Praktiken des Christentums geprägt sind. In einem nächsten Gesprächsgang sollen theologische Fragen zu Sabbat, Gottesdienst, Eschatologie und Schriftauslegung diskutiert werden.

7. Weitere Präzision der Gespräche

Die bilateralen Konfessionsgespräche haben das Trennende zwischen den Kirchen genauer erfasst, die Gemeinsamkeiten verbindlicher herausgestellt und erste gemeinsame Schritte im Reden und Handeln der Kirchen vereinbart. Das hat die Kirchen auf der Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit vorangebracht. Für Mennoniten sind diese Gespräche in mehrfacher Hinsicht fruchtbar gewesen. Erstens haben sie ihnen deutlich signalisiert, ein willkommener Gesprächspartner in den ökumenischen Beratungen zu sein und dazu beigetragen, sie von möglichen Minderwertigkeitskomplexen einer kirchlichen und theologischen Randexistenz zu befreien. Zweitens haben Mennoniten zu verstehen gelernt, dass es nicht ausreicht, die konfessionellen Sondermerkmale ihrer Kirche zu pflegen und in die Gespräche einzubringen, sondern gemeinsam nach dem theologischen Ansatz oder Zusammenhang zu suchen, in dem diese Merkmale (Taufe, Gewaltfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, Verweigerung des Eides usw.) stehen, ebenso gemeinsam zu fragen, ob die besonderen Entstehungsbedingungen einst in der kirchlichen und gesellschaftlichen Situation der Gegenwart überhaupt noch eine Rolle spielen. Drittens haben Mennoniten in diesen Gesprächen die Sprache gefunden, in der sie ihre eigenen theologischen Überlegungen intensivieren und in weiteren Gesprächen zur Diskussion stellen können. Auch wenn es möglich war, das gegenseitige Verständnis für die theologischen Überlegungen des jeweiligen Gesprächspartners zu verbessern und für das eine oder andere Thema gemeinsame Formulierungen zu finden, blieben die Aussagen doch noch recht allgemein und oft auch ungenau, so dass eine theologische Nacharbeit unerlässlich ist – jetzt in einem verheißungsvollen Klima gegenseitiger Begegnung.

Auf Anregung der Mennonitischen Weltkonferenz begann 2012 ein „Trialog“ zwischen der Katholischen Kirche, dem Lutherischen Weltbund und der Mennonitischen Weltkonferenz zum Thema der →Taufe (III). In beiden vorangegangenen bilateralen Dialogen wurde angeregt, dieses Thema weiter zu bearbeiten.

Bibliografie (Auswahl)

Berichte und Dokumente

Baptism, Peace and the State in the Reformed and Mennonite Traditions, hg. von Ross T. Bender und Alan P. F. Sell, Waterloo, Ont. 1991. - Michael Baumann (Hg.), Gemeinsames Erbe. Reformierte und Täufer im Dialog, Zürich 2007. - Bericht vom Dialog VELKD/Mennoniten 1989 bis 1992. Das lutherisch-mennonitische Gespräch in der Bundesrepublik Deutschland, hg. vom Lutherischen Kirchenamt, 3. Aufl., Hannover 1995. - Dokumente wachsender Übereinstimmung: Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, hg. von Harding Meyer u. a., 3 Bde., Frankfurt/M. und Paderborn 1983, 1992 und 2003. - Donald F. Durnbaugh (Hg.), On Earth Peace. Discussions on War/Peace Issues Between Friends, Mennonites, Brethren, and European Churches, Elgin, Ill., 1978. - Fernando Enns (Hg.), Heilung der Erinnerungen – befreit zur gemeinsamen Zukunft. Mennoniten im Dialog. Berichte und Texte ökumenischer Gespräche auf nationaler und internationaler Ebene. Frankfurt/M. und Paderborn 2008 (Lit.). - Fernando Enns und Hans-Jochen Jaschke (Hg.), Gemeinsamen berufen, Friedensstifter zu sein. Zum Dialog zwischen katholiken und Mennoniten, Schwarzenfeld und Paderborn 2008. - Gemeinsame Erklärung des Gesprächsforums anlässlich des Täuferjahres zwischen einer Delegation des Synodalrates der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Verantwortlichen der Alttäufer-Mennoniten-Gemeinden sowie Verantwortlichen der Evangelischen Täufergemeinden des Kirchengebietes (s. o.), Bern 2007/2008. - Les Entretiens luthéro-mennonites. Résultats du Colloque de Strasbourg (1981–1984), hg. von Pierre Widmer und Marc Lienhard, Montbéliard 1984. - Mennonites and Baptists: A Continuing Conversation, hg. von Paul Toews, Winnipeg und Hillsboro, Kans., 1993. - Mennonites and Reformed in Dialog, hg. von Hans Georg vom Berg, Henk Kossen, Larry Miller und Lukas Vischer, Genf 1986. - Mennonite World Conference and Baptist World Alliance Baptist-Mennonite Theological Conversations (1989–1992), Final Report, o. O. und o. J. - The Three Reports of the Forum on Bilateral Conversations. Faith and Order Paper 107, Genf 1981. - Wesen und Auftrag der Kirchen (Faith & Order Paper 198), Genf 2005 (als elektronische Fassung unter http://www.oikoumene.org/de/dokumentation).

Literatur

Rainer W. Burkart, Eucharistische Gastfreundschaft: Versöhnung zwischen Mennoniten und Lutheranern, in: Ökumenische Rundschau 45, 1996, 324–330. - Fernando Enns, Friedenskirche in der Ökumene. Mennonitische Wurzeln einer Ethik der Gewaltfreiheit, Göttingen 2003. - Ders, Identitätsbildung durch Begegnung mit dem Anderen. Täufer in Opposition – Mennoniten im Dialog, in: Lena Lybaek, Konrad Raiser, Stefanie Schardien (Hg.), Gemeinschaft der Kirchen und gesellschaftliche Verantwortung. Die Würde des Anderen und das Recht anders zu denken. Festschrift für Erich Geldbach, Münster 2004, 73–82. - Hans- Jürgen Goertz, Bruchstücke radikaler Theologie heute. Eine Rechenschaft, Göttingen 2010, 132–151. - Ivan J. Kauffman Mennonite-Catholic Conversations in North America: History, Convergences, Opportunities, in: One in Christ 34, 1998, 220–246. - Andrea Lange, Der mennonitisch-katholische Dialog, in: Freikirchen Forschung 16, 2007, 192–198. - John Howard Yoder, Täufertum und Reformation in der Schweiz. I. Die Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren 1523–1538, Karlsruhe 1962. - Ders., Täufertum und Reformation im Gespräch. Dogmengeschichtliche Untersuchung der frühen Gespräche zwischen Schweizerischen Täufern und Reformatoren, Zürich 1968. - Earl Zimmermann, Renewing the Conversation: Mennonite Responses to the Second Vatican Council, in: Mennonite Quarterly Review 73, 1999, 61–73.

Lexikonartikel

Art. Dialog II, bilaterale Dialoge, in: Ökumene Lexikon. Kirchen, Religionen, Bewegungen, hg. von Hanfried Krüger u. a., Frankfurt/M. 1983, Sp. 253–259.

Rainer Burkart, Fernando Enns und Hans-Jürgen Goertz

 
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