Inhaltsverzeichnis
Mission
1. Mennoniten und das moderne Zeitalter der Mission
In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts begannen Christen im Westen, Katholiken und Protestanten, von der „Missio Dei“ zu sprechen. Darin sahen sie den eigentlichen Rahmen, in dem sich christliche Mission entwickeln könne, und das schloss notwendigerweise die Vorstellung ein, dass die Kirche eine missionarische Kirche unter der Führung des Heiligen Geistes sei, aber auch ein Zeugnis von ihrer Einheit als Leib Christi ablegen müsse. In der fünfhundertjährigen Geschichte sind die Täufer und Mennoniten stets in den Zweideutigkeiten und Spannungen zwischen christlichem Missionsauftrag und christlicher Einheit gefangen gewesen. Im Wesentlichen lebten sie ihre eigene Geschichte mit ihren besonderen Merkmalen und Akzenten. Anfangs versuchten sie, wie andere reformatorische Bewegungen auch, die westliche Kirche bzw. die römisch-katholische Kirche zu erneuern oder zu reformieren. Bald aber endeten sie als eine der neuen christlichen Konfessionen, aus deren westeuropäischen Anfängen sich inzwischen Kirchengemeinschaften weltweit entwickelt haben. Die größeren Reformationskirchen versäumten es, wie die Gemeinden der Täufer auch, zueinander zu finden, und weisen bis jetzt ihre jeweils besonderen konfessionellen Unterscheidungsmerkmale auf.
Die ökumenischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, ob es die konziliare Bewegung innerhalb des Ökumenischen Rates der Kirchen oder die evangelikalen Bewegungen sind, waren bis in die 1960er Jahre hinein hauptsächlich protestantischer Natur und größtenteils von Personen angeregt und geführt worden, die über Erfahrungen auf dem internationalen Gebiet der Mission verfügten und aus diesem Grund ein intensives Gespür für die Einheit der Christen in der Vielfalt der Kulturen entwickelt hatten. Um „Mission“ und „Missiologie“ (Missionswissenschaft) in einem mennonitischen Lexikon des 21. Jahrhunderts zur Darstellung zu bringen, kann das Augenmerk nicht nur auf die Mennoniten gelenkt werden, es muss auch beachtet werden, dass „Mission“ im westeuropäischen Kulturraum entsprang und sich hauptsächlich innerhalb der christlichen Kultur des Westens entwickelte, in der die Mennoniten und Täufer bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein gelegentlich noch als Ketzer des linken Flügels der Reformation galten. In der modernen Missionswissenschaft werden Mennoniten oder Täufer inzwischen weitgehend akzeptiert und sogar als Vertreter eines empfehlenswerten Freikirchenmodells bzw. einer Ekklesiologie, die zur Moderne zu passen scheint, angesehen.
Der Missionsauftrag der Kirche wurde in der →Reformation des 16. Jahrhunderts wiederentdeckt. Unter Historikern und Missionswissenschaftlern lässt sich inzwischen allgemein beobachten, dass sie der Meinung sind, wo immer und wann immer es zu einer Erneuerung der Kirche Jesu Christi gekommen war, diese sich in missionarischem Wirken zum Ausdruck brachte. Das Zeugnis der Heiligen Schrift, ob es gehört oder gelesen wurde, war hauptsächlich als Anleitung zur Mission verstanden worden. Im Vergleich zum Islam, wo die Autorität des Korans auf die arabischen Originaltexte gegründet wird und nur „Allah“ als wahrer Name für Gott gilt, war die gute Botschaft der Bibel eine übersetzte, von menschlichen Sprachen abhängige Nachricht. So war die Missionsgeschichte seit dem 16. Jahrhundert, einschließlich der mennonitischen Missionen, auch von Bibelübersetzungen in den Muttersprachen der Völker geprägt. In dem Missionsbefehl an seine Jünger sagte Jesus, „wie der Vater mich sandte, so sende ich euch“ (Joh. 20). Das heißt, die Tatsache, dass Gott sich den Menschen aussetzt, antizipiert die Probleme, die sich mit dem Übersetzen seines Namens einstellen, und erteilt den Menschen den Auftrag, sein Missionswerk fortzuführen. Man könnte sagen, dass der Akzent, der erneut auf die „Missio Dei“ gelegt wurde (International Mission Conference, Willingen 1952), mehr Aufmerksamkeit dem Auftrag zuwendet, Christus in der Welt Mensch werden zu lassen (Inkarnation), als den korrekten Formulierungen der Theologie.
Die Quellen der frühen Täufer legen nahe, dass die Täufer nach der Lektüre der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung eine persönliche Antwort auf die Einladung des Evangeliums forderten, nämlich, wie Felix →Mantz etwa, weiterzugeben, was auch anderen zur „vollen Erkenntnis der Wahrheit“ verhilft (1. Tim. 2, 4). Der nordamerikanische Historiker Franklin Littell charakterisierte das Täufertum als eine missionarische Bewegung (Franklin Littell, Das Selbstverständnis der Täufer, 1958, 112 und 130). Das bedeutete, dass die Täufer Freunde und Nachbarn evangelisierten und zu überzeugen versuchten. Auf einer Versammlung der frühen Täuferführer 1527 in Augsburg wurden Pläne erörtert, Missionare in verschiedene Gebiete Mitteleuropas zu entsenden. Unterdrückung und Verfolgung verhinderten aber die Verwirklichung der meisten Missionsvorhaben, so dass diese Zusammenkunft als „Märtyrersynode“ in die Geschichte einging. Andere Reformatoren im westlichen Europa neigten dazu, in der Begrifflichkeit territorialer oder landeskirchlicher Grenzen zu denken und setzten sich, anders als die Täufer, nicht gerade für eine Förderung der Mission, zumindest nicht im „christlichen“ Abendland, ein. Dennoch meinen Historiker heute erkennen zu können, dass alle reformatorischen Konfessionen ihre Evangelisten hatten, deren Aktivitäten dafür sorgten, dass lutherische, reformierte und katholische Gemeinden entstehen und sich in Territorien erhalten konnten, wo sie nicht das obrigkeitlich anerkannte Bekenntnis vertraten. Aber sowohl in den Gemeinden der Mennoniten als auch in anderen reformatorischen Kirchen kühlte sich der missionarische Eifer im Zeitalter der →Konfessionalisierung ab.
Im Rahmen der Täuferforschung wird gelegentlich immer noch die Meinung vertreten, dass die Täufer damals die einzigen gewesen seien, die sich in der Mission engagierten. Abraham Friesen zeigte in neueren Abhandlungen, wie Schlüsselfiguren in ihrem Missionsverständnis von den Schriften des Erasmus von Rotterdam geprägt worden seien. Das könnte so gewesen sein, wird der Bogen der Geschichte jedoch weiter gespannt, dann waren es die Mönchsorden, die aus einer erneuerten römisch-katholischen Kirche hervorgegangen waren, die den Missionsauftrag in anderen Kontinenten, auch in China zwischen 1550 und 1750 ausführten. In Niederlāndisch Ostindien (heute Indonesien) war die Reformierte Kirche schon seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts missionarisch tätig, allerdings mit Hilfe der niederländischen Obrigkeit. In einige Gegenden wurde das europäische Christentum direkt verpflanzt, in anderen Ländern, vor allem in Indien und China, waren die katholischen Missionare kulturell einfühlsam und in einem Maße anpassungsfähig, wie es erst wieder im 20. Jahrhundert der Fall war. Um 1800 waren viele Missionsorden vom Papsttum niedergehalten worden, und es setzte eine Wende ein, die ein sogenanntes protestantisches Zeitalter der Mission heraufführte (1750–1950), das sich im 20. Jahrhundert in zwei Richtungen entwickelte und einen Einfluss auf die Mennoniten ausübte. Beide missionarische Bewegungen gingen vorwiegend aus den geistlichen Erweckungen des kontinentalen Pietismus mitsamt einer Betonung der Bekehrung des Einzelnen hervor und führten zu christlichen Gemeinden mit einer starken Betonung der biblischen Autorität. Die eine Bewegung wurde als eine konziliare Bewegung beschrieben (diejenigen Kirchen, die sich im Ökumenischen Rat der Kirchen oder zu regionalen Räten zusammenschlossen) und die andere eine evangelikale Bewegung, die seit dem Kongress in Lausanne 1974 das missionarische Denken in weiteren großen Versammlungen prägte, auch wenn manche jungen Kirchen die Spannung zwischen ökumenischen und evangelikalen Bewegungen selbst nicht so stark erfahren haben. Beide Formen protestantischer Missionsarbeit waren finanziell zunächst auf freiwillige Zuwendungen von Missionsgesellschaften angewiesen, die zunächst nicht in die kirchliche Verwaltung integriert waren. Die neuen Missionskirchen, die überall in der Welt entstanden waren, wurden als „eine Minorität in einer feindlichen Welt“ wahrgenommen (S. F. Pannebacker, Art. Missions Foreign – Mennonite, 712). Andere Missionswissenschaftler und Historiker haben in den letzten Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass die massenhaften Auswanderungen aus Europa nach Nord- und Südamerika sowie nach Afrika und Australien die enge Beziehung zwischen Migration und Mission stärker zu Bewusstsein brachten. In der überseeischen Diaspora war das Territorialprinzip der Kirchenstruktur selten durchzusetzen, vielmehr ging es um eine Kommunikationsstruktur in den Beziehungen dieser Kirchen zu Europa – Briefwechsel, Zeitschriften, Lehrstoff in Ortsprachen. Ob diese Kirchen nun anglikanisch, lutherisch oder reformiert waren oder die vielen neu entstandenen Gemeindetraditionen, so wie diejenigen der Methodisten und Pfingstler: in ihrem Verwaltungshandeln waren sie de facto Freikirchen. Die Migrationswellen Richtung Süd-Nord der letzten vierzig Jahre hatten auch einen wesentlichen Einfluss auf die Mission. Migration und Mission waren immer Teil der Mennonitengeschichte.
Ein Leitstern für die Ausbildung eines mennonitischen Missionsverständnisses ist das Täufertum des 16. Jahrhunderts. An ihm haben sich Missionstheologie und Missiologie, besonders unter den „Alt“-Mennoniten in den USA orientiert. Nicht ganz so deutlich wurde zur Kenntnis genommen, dass die pietistische Erneuerung (die katholische, orthodoxe und protestantische Aspekte aufwies, auch eine demokratisch-egalitäre Wirkung ihrer Bildungsideen) alle europäischen Mennoniten und ihre Nachfahren weltweit stärker in ihrer Missionstheologie und Missionspraxis geprägt haben, als die entsprechenden theologischen Entwürfe der Reformationszeit (→Pietismus). Es gab erhebliche Unterschiede in der Auswirkung dieser Bewegungen. Von den Niederlanden bis nach Russland (auch Missionsgesellschaften in Skandinavien oder Freikirchen in Nordamerika) beschäftigten sich die Mennoniten in ihren Missionswerken mit den sozialen Problemen kolonialer Expansion, Industrialisierung und des daraus folgenden Gesundheitswesens. Südeuropäische Mennoniten sowie Brethren in Christ und Mennoniten aus Lancaster County (USA) standen stärker unter dem Eindruck der mystischen Strömungen der Erweckungsbewegungen, einschließlich der Spiritualität aus den Keswick Bibelkonferenzen, ganz besonders gilt das für die Entwicklung der tansanischen Mennoniten in Ostafrika.
Im frühen 19. Jahrhundert begannen die niederländischen Mennoniten, mit ihrem Hilfswerk William Careys Baptist Missionary Society zu unterstützen (bald folgten ihnen auch französische, deutsche und russische Mennoniten), und um 1847 wurde eine freiwillige Missionsgesellschaft von den niederländischen Mennoniten ins Leben gerufen. Diese Gesellschaft gehörte nicht offiziell zur →Algemene Doopsgezinde Societeit (gegründet 1801), doch ihr Vorsitzender (Samuel Muller) war ein bedeutender Kirchenführer und Hochschullehrer am Theologischen Seminar der niederländischen Mennoniten in Amsterdam. Ihr erster Missionar war Pieter Janz, der in die niederländischen ostindischen Kolonien entsandt wurde. Einige andere Missionarsfamilien folgten. 1871 wurde Heinrich Dirks aus Gnadenfeld (Ukraine) der erste von zahlreichen Missionaren aus seinem Land unter dem niederländischen Sendungsrat (Zendingsraad), die ins heutige Indonesien entsandt wurden. Dirks kehrte bald aus Gesundheitsgründen nach Russland zurück, setzte sich in den folgenden Jahrzehnten aber für die Mission ein und unterstütze die Arbeit in Indonesien und unter einheimischen Völkern. Die russische Mennoniten-Brüdergemeinde entsandte 1889 Abraham Friesen nach Indien, dann A. F. Hiebert und Heinrich Unruh gegen Ende des Jahrhunderts, um mit den Baptisten zusammenzuarbeiten und dann Verantwortung für die entstehende große Missionsgesellschaft der Mennoniten-Brüdergemeinde zu übernehmen, die bald vor allem von den Angehörigen der Mennoniten-Brüdergemeinde unterstützt wurde, die nach Kanada und die USA ausgewandert waren.
2. Missiologie und ihre mennonitischen Ausdrucksformen
Das Dictionary of the Ecumenical Movement (1991) enthält einige Einträge zu Mission und Missiologie, um Alternativen konfessioneller Perspektiven aufzuzeigen. Der Eintrag zu „Missiologie“ wurde von Andrew Walls geschrieben, der zahlreiche Missionswissenschaftler unter den Mennoniten in Nordamerika geprägt hat. Sie wurden von seinen Schriften beeinflusst, einige wurden darüber hinaus von ihm als Doktoranden betreut. Walls bemerkte, dass Missiologie, wenn auch schon ein weitverbreitetes Konzept in Deutschland nach 1850, in England erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Fachdisziplin in Forschung und Lehre entwickelt wurde, als auch verschiedene Disziplinen der Sozialwissenschaften entstanden waren. Eine wichtige sozialwissenschaftliche Disziplin war Anthropologie, die anfangs für Missionare besonders wichtig war und ihnen half, sich ein Verständnis für besondere Stammeskulturen zu erarbeiten – deren Sprache, sittliches Verhalten und religiösen Rituale. Als eine „Missionsanthropologie“ herangereift war, stellte sich eine ausgesprochene Wende zur vergleichenden Kulturforschung her. Gleichzeitig wurde mehr auf den sozialen und kulturellen Wandel geachtet (auch auf die Faktoren dieses Wandels). Schließlich beschrieb Paul Hiebert (in der dritten Generation Indienmissionar, bevor er an amerikanischen Schulen der Weltmission lehrte) die anthropologische Disziplin, indem er mindestens ein Dutzend abgeleiteter Disziplinen aufzählte – beispielsweise Semiotik, Kommunikationstheorie, Sozialgeographie – die das eigene Kulturverständnis bereicherten. Seine letzten Bücher zum Thema der Mission haben sich auf die „sich verändernden Weltanschauungen“ konzentriert. Er wollte mit Hilfe anthropologischer Erklärungsmodelle herausfinden, was sich an den Weltanschauungen ändert, sobald Menschen sich zum christlichen Glauben bekehrt haben. Der theologische Begriff der „Umkehr“ (metanoia), wie er solche veränderten Weltanschauungen versteht, bezog sich nicht nur auf die christliche Bekehrung, Hiebert wurde immer kritischer gegenüber Theologien, die in Kategorien des 16. Jahrhunderts verankert waren, und erwartete zumindest von seinen Kollegen unter den mennonitischen Missionaren, sich für eine „globale Theologie“ in einer Ära der „Weltchristenheit“, nämlich des 21. Jahrhunderts, einzusetzen. Das bedeutete auch eine Veränderung in der Weltanschauung, die anderes als nur klassische Theologie und biblische Studien als „Sprache“ der Theologie auffasste. Gegen Ende seines enzyklopädischen Artikels zur Missiologie bemerkte Walls, dass „Missiologie entstanden sei, weil die Ressourcen der westlichen Theologie für eine Weltkirche in ihrer Interaktion mit vielen Kulturen nicht ausreichten“ (Walls, Art. Missiologie, 690).
Eine andere, klassischere Disziplin, nämlich Geschichte, hat die Missionswissenschaft noch stärker beeinflusst. Gemeint ist allerdings eine Geschichtswissenschaft, die mit vielen Sozialwissenschaften in Einklang stand und sich im 20. Jahrhundert für ihr Studium des Christentums in aller Welt der Methoden der „oral history“ (mündlich überlieferte Geschichte) bediente und sich theoretische Erklärungsmodelle intensiv zunutze machte. Andere Missionshistoriker sind darauf aufmerksam geworden, wie viel der Kirchengesang oder andere Gattungen der Kunst über die Vergangenheit zu erkennen geben, wie sie nicht notwendigerweise in geschriebenen Texten zu finden sind, sondern mit der Vitalität der Erinnerung die Geschichte des Christentums zu verstehen lehren. Als das Projekt der Mennonite Global History erarbeitet wurde (1995–2012), griff man auf archivalische Quellen zurück, bemühte man sich, die Perspektiven und Vorstellungen einer so begegnenden Christenheit zu erfassen und zu akzeptieren, auch wie sie sich selbst verstand, mit Hilfe von Oral-History-Interviews, wobei auf umsichtige Weise Stimmen von Frauen und Männern ausgewählt wurden, von Älteren und Jüngeren. Daraus wurde eine Geschichte in Buchform zusammengetragen, die einen starken Akzent auf die christliche Mission legte. So entstand eine Geschichte, in der eine Kirche, die von und für die Mission lebt, zur Geschichte des Volkes Gottes geworden ist.
Auf einer anderen Ebene stellte Philip Potter die „Mission“ im 20. Jahrhundert vor (Philip Potter, Art. Mission, in: Dictionary of the Ecumenical Movement, 1991). Er lenkte das Augenmerk auf wichtige Konferenzen oder Missionskongresse, von denen die meisten zunächst protestantischer Herkunft waren, erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war es häufiger zur Zusammenarbeit zwischen römisch-katholischen und protestantischen Organisationen gekommen. So begann ein stärker gemeinsam ausgerichtetes Verständnis von Mission in Theorie und Praxis zu entstehen – erste Schritte, die eine lange Geschichte getrennter Missionsarbeit der Kirchen zu beenden versuchten. Zunächst hatte ein Kongress in Madras (Indien) schon 1900 zumindest erklärt, dass wir Christen „miteinander oder wenigstens nicht gegeneinander handeln müssen“ (ebd. 690). Getrennte Kirchen verfolgten zwischen 1921 und 1962 nach Potter zwar weiterhin ihre eigene Missionsarbeit (ebd., 691), auf Kongressen ließ sich aber ein Fortschritt auf dem Wege zu einem gemeinsamen Missionsverständnis feststellen: dass die Missionsanstrengungen auf „Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen den Rassen“ ausgerichtet seien oder die Erklärung der Internationalen Missionskonferenz (IMC) von Madras (1938) bestätigen müssten, wonach der Leib Christi Mission „durch alle seine Glieder, die Träger des Evangeliums an jedem Ort“ ist (ebd., 692). Schon (in Wittlingen) 1952 war das Thema des Kongresses „Mission unter dem Kreuz“. So bemerkte Potter, dass sich für die ökumenische Bewegung zwischen 1961 und 1991 „eine tiefere Spiritualität im Hinblick auf das Zeugnis und den Dienst als aktuelles Losungswort einstellte“ (ebd., 694).
An vielen dieser Weltkongresse nahm der eine oder andere mennonitische Missionswissenschaftler teil, seit der Mitte des Jahrhunderts beteiligten sich nach und nach einige mehr an den Diskussionen, und um 2000 wurden einige Mennoniten zitiert oder sogar aufgefordert, an solchen Konferenzen das Wort zu ergreifen. Das heißt, Mennoniten nahmen an einem wachsenden globalen Prozess teil, in dem über zahlreiche Themen nachgedacht wurde, die sich allen auf dem Missionsfeld aufdrängten, und sie wurden oft gehört. Als Mitglieder einer kleinen Kirche waren sie darauf bedacht, behutsamer zu sprechen und auf friedliche Weise zu gemeinsamen Verpflichtungen zu gelangen. Zur selben Zeit hat sich die mennonitische Welt recht unterschiedlich entwickelt, theologisch reichte das Spektrum von konservativ und zurückgezogen bis liberal und kulturell stark engagiert. Als es um 2000 üblich wurde, die sich verändernde Wachstumsentwicklung unter den Christen zu beachten und von einer sich auf die südliche Hälfte der Welt verlagernden Bedeutung der Christenheit zu sprechen, stellten auch die Mennoniten sich darauf ein und begannen, den tieferen Sinn dieser Veränderung zu erfassen. Es lohnt sich, die Themen zu erwähnen, die in den Diskussionen mennonitischer Missionskomitees aufgegriffen und fortan beraten wurden.
(1) Ein Thema ist zunächst wohl die Tendenz, eine eigene Theologie und eine Missionswissenschaft auszuarbeiten, die als täuferisch oder neo-täuferisch zu bezeichnen wäre. Das ist vor allem in Nordamerika durch führende Mitarbeiter des Mennonite Board of Missions (zu nennen sind J. D. Graber, Wilbert R. Shenk, John Howard Yoder und David Shank) durch ein Anabaptist Network (angeregt von Alan Kreider) und von einzelnen Theologen in Großbritannien, Australien und den früheren britischen Kolonien in Angriff genommen worden. Sie konfrontieren Themen einer täuferischen Theologie mit konfessionellen Traditionen, die sie im Niedergang wähnen und ihre Glaubwürdigkeit verlieren sehen. Diese Tendenz gewann enorme Popularität mit dem Verkaufserfolg eines Buches, das der britische Baptist und Kirchengründer Stuart Murray unter dem Titel The Naked Anabaptist (2010) geschrieben hatte. Er stellte die Meinung zur Diskussion, dass man nicht unbedingt einer täuferischen Tradition angehören müsse, um sich attraktive Themen täuferischer Theologie (wie sie vor allem in zeitgenössischen Schriften vorgetragen werden) überall in der Welt aneignen zu können. Dank des Gespürs, das mennonitische Missionswissenschaftler besonders intensiv für die Kultur entwickelt haben, scheint es unklar zu sein, ob das empfohlene Täufertum etwas allgemein Unbekanntes und Exotisches sei, ungetrübt von erfahrener Geschichte, oder ob es hauptsächlich die Grundüberzeugungen der christlichen Botschaft sind, die in so viele Kulturen eingedrungen zu sein scheinen und lokale Färbung angenommen haben.
(2) Ein anderes Thema ist eines der großen geistlichen Phänomene des 20. Jahrhunderts, nämlich die pfingstlerischen und charismatischen Bewegungen, die innerhalb eines Jahrhunderts zu einer Bewegung von drei- auf vierhundert Millionen Anhänger angeschwollen sind. Mennonitische Missionswissenschaftler haben den Einfluss zur Kenntnis genommen, der von diesen geistgewirkten Bewegungen auf Mennonitengemeinden, besonders auf der südlichen Welthalbkugel, ausgegangen ist. In seinem Buch Winds of the Spirit (2012) ist ein nordamerikanischer Soziologe unter den Mennoniten der Meinung, dass die Entdeckung, eine vom Heiligen Geist inspirierte Bewegung zu sein, für das schnelle Wachstum, für den Missionseifer und den stärkeren Akzent verantwortlich gewesen sei, der auf das Gebet und eine recht negative Einstellung zur denominationellen Struktur und theologischen Ausbildung gelegt worden sei. Dieser Veröffentlichung liegen mehr als 18000 Fragebögen zugrunde, die an zwölf christliche Gemeindekonferenzen in Lateinamerika, Asien und Afrika (insgesamt 261.102 Mitglieder, 58) versandt wurden, die alle mit der Lancaster Mennonite Conference in Pennsylvanien (USA) verbunden waren. Viele meinen, dass die mennonitische Welt, auch in Teilen Nordamerikas und Westeuropas, vom Pfingstlertum beeinflusst worden sei, aber die Diskussion konzentriert sich darauf, welche Aspekte der Wirkung des Heiligen Geistes diesen Einfluss ausmachen. Einerseits widerspiegelt diese Diskussion ein Thema der Moderne, die beständig zunehmende Konzentration auf das Individuum und das Selbstwertgefühl, das durch Erfahrung mit einem sehr persönlichen Ergriffensein durch den Heiligen Geist als einer aktuellen Erfahrung entsteht. Andererseits lassen das Wirken des Heiligen Geistes, wie Jesus Christus es in Joh. 15–17 als Hinführung zur Wahrheit beschrieb, und Hinweise aus der Apostelgeschichte und den Briefen des Neuen Testaments, die die Rolle des Heiligen Geistes als eine einigende Kraft betonen, eine zu leichtfertige Aneignung des Pfingstlertums als fragwürdig erscheinen.
(3) Ein drittes Thema, das diskutiert wird, ist die Spannung zwischen Friedenszeugnis und Mission. Als verschiedene europäische nationale Gemeinschaften der Mennoniten ihren Weg durch die nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts zu finden versuchten, wurde die Bedeutung des Wehrdienstes mehr als eine Manifestation einer staatsbürgerlichen Verpflichtung gegenüber dem eigenen Volk angesehen im Kontrast zu den früheren feudalen Mächten, die Kriege mit angeworbenen Söldnern und zwangsrekrutierten Soldaten führten. Hier und da gab es Fortschritte, den Wehrdienst in aller Öffentlichkeit teilweise oder ganz zu leisten, während der Weg des Friedens, den Jesus ging, im privaten oder kirchlichen Bereich beschritten wurde. Die Mennoniten in Europa, gemeint sind damit auch die Mennoniten in der Sowjetunion, ausgenommen vielleicht diejenigen in der neutralen Schweiz, wurden im Ersten und Zweiten Weltkrieg stark geprüft. Stärker als die nordamerikanischen Mennoniten wurden sie auch vom Klima der Nachkriegszeit bestimmt. Die amerikanischen Mennoniten konnten einen Kriegsersatzdienst leisten und mussten keine Verluste beklagen. Ihr Engagement in der Hilfswerksarbeit und dann auch in der wirtschaftlichen Entwicklungshilfe für die Dritte Welt ließen das große, professionell geführte →Mennonite Central Committee mit einem besonderen Friedensauftrag entstehen. Der Fortschritt, der sich hier einstellte, ging darauf zurück, dass den europäischen Mennoniten geholfen wurde, den Frieden oder eine pazifistische Theologie wiederzuentdecken, kleine Programme der Vermittlung oder Versöhnung zu fördern, neuerlich die Friedensarbeit (peacebuilding) mit Nachdruck in Projekten der Gemeindeentwicklung gemeinsam mit einer großen Vielfalt an Partnern, gelegentlich mit Kirchen, in Angriff zu nehmen und, weltlich gesprochen, erfolgreich durchzuführen. Was die Friedensarbeiter gelernt haben, sind persönliche Fertigkeiten. Vereinfacht illustriert diese Skizze, wie Perspektiven und Programme aus sozialen und politischen Gegebenheiten und Erfahrungen auf schier unvorstellbare Weise hervorgehen. Die Diskussion um Frieden und Mission, aus einer Perspektive von fünfzig Jahren zuvor, war darum bemüht, die Friedensarbeit gegenüber der Evangelisation und Mission zu bevorzugen. Spendenwillige mussten sich entscheiden, diese oder jene zu fördern. Eine Wende in der Denkweise kann nach dem Publikationserfolg des Buches von John Howard →Yoder Die Politik Jesu (1972 englisch, 1981 deutsch) beobachtet werden, also gerade in der Zeit, als die Kirchen Europas sich besonders gegen die Bedrohung durch die Atombombe aus theologischen Gründen wandten. Das war auch die Zeit, in der eine mennonitische Zeitschrift zur Missiologie zu erscheinen begann, genannt Mission Focus (unter der Schriftleitung Wilbert Shenks). Bald beteiligten sich zahlreiche mennonitische Missionswissenschaftler daran. Die Wende markiert sowohl einen Fortschritt als auch eine größere Komplexität und kann in einem weiteren Zusammenhang christlicher Entwicklung gesehen werden.
Auf einen anderen Brennpunkt der Mission hat Dietrich Werner die Aufmerksamkeit gelenkt, nämlich auf die „missionarische Struktur der Gemeinden“ (Dietrich Werner, Art. Missionary Structure of the Congregation, 699–701). Damit beschäftigen sich katholische und protestantische Kirchen, darunter auch Freikirchen auf unterschiedliche Weise (MSC). Bereits 1962 hat ein Kongress zu MSC festgestellt, dass „das Ziel der Mission (…) nicht vornehmlich das quantitative Wachstum der Kirche“ sei, „sondern der Frieden, der für die Welt geschaffen wird“ (ebd., 700), d. h. Mission und Frieden sind notwendigerweise voneinander abhängig. Eine andere Erklärung der MSC-Konferenzen war, dass „die Missionare unserer Tage wohl eher die Laien (als die kirchlichen Funktionäre) sind – das Volk Gottes. Eine missionarische Kirche ist Kirche an der Basis“ (ebd., 700). Unterstützt von der Abteilung für Weltmission des Ökumenischen Rates der Kirchen wurde eine Stellungnahme von einer MSC-Konferenz mit der Devise verabschiedet, „dass die äußere Struktur einer Kirche ein Faktor in der Evangelisation ist und der ‚Missio Dei' dienen muß“ (ebd., 702). Diese Struktur sollte „flexibel, differenziert und in sich stimmig“ sein und stellte eine komplexe Herausforderung dar. Dennoch ringen diese jungen Missionskirchen mit der Spannung zwischen Friedenszeugnis und Missionsauftrag in ihren besonderen Minderheitssituationen.
(4) Ein bisher weniger beachtetes Thema, das aber für die Zukunft wichtig werden dürfte, betrifft die Veränderungen des missionarischen Denkens und Handelns im postkolonialen Zeitalter. Die größeren mennonitischen Missionsvorhaben (Indonesien, China, Indien, Kongo und Ost-Afrika) begannen in der Zeit des Kolonialismus – in niederländischen, belgischen und britischen Kolonien –, und die entstehenden Missionsgemeinden, die sich als Tochtergemeinden oder abhängig von der Unterstützung der Mission befanden, erlebten einen eigenen Prozess der Verselbstständigung, als die Kolonialländer in die Selbstständigkeit entlassen wurden (hauptsächlich nach dem Zweiten Weltkrieg). Die Entwicklungen, wie sie bisher geschildert werden, zeigen Wege, wie die Missionswerke organisierten Gemeindeverbänden zur Selbstständigkeit verhalfen. Dahinter steckte die Theorie der „Three Selfs“ – selbstständig regiert, selbstständig missioniert, selbstständig finanziert. Eigentlich wurden diese grundlegenden Prinzipien der zweitausendjährigen Kirchengeschichte jetzt mehr durch die Missionen wachgehalten, die außenpolitisch ein wenig im Schatten standen. So kam es innerhalb der Missionskirchen allerdings oft zu Konflikten über Führung, Schulung und Finanzen. Ein Teil der mennonitischen Missionen entdeckten eine Täufertheologie der Mission. Sie bemühten sich darum, trotz der Umwälzungen durch die Selbstständigkeitsbewegungen zu einer Einheit im weltweiten Mennonitentum zu finden. Andere jedoch waren darauf aufmerksam geworden, dass es auch eine eigenständig zu entwickelnde Theologie in den Missionsgemeinden selbst geben müsste. Sie befinden sich mit ihren Bemühungen allerdings erst noch am Anfang. Das Projekt einer Darstellung der mennonitischen Geschichte in globaler Sicht ist dafür ein Beispiel.
3. Die Rolle der Mission in der mennonitischen Weltgemeinschaft
Es gibt die Möglichkeit, die Entwicklung der →Mennonitischen Weltkonferenz zu einer „Weltgemeinschaft“ als eine typisch mennonitische Variante zu verstehen, einen Fortschritt in Theorie und Praxis der Mission im 20. Jahrhundert erzielt zu haben – das in einer Zeit, da die Implikationen für das christliche Zeugnis, das die Gestalt einer in sich verschiedenartigen, weltweiten christlichen Gemeinschaft angenommen hat, immer mehr Verbreitung fanden. Aus Anlass des vierhundertjährigen Entstehungsjubiläums wurde die erste Weltkonferenz 1925 in der Schweiz abgehalten. Daran hat nur ein Mennonit aus Nordamerika teilgenommen. Die französischen und schweizerischen Mennoniten haben den Vorschlag der russischen Mennoniten durchkreuzt, einen Weltkongress einzuberufen, da diese ihre Liberalität ablehnten; und als die Weltkonferenz dennoch stattfand, wurde dem einzigen russischen Delegierten, Jakob Rempel, die Einreise in die Schweiz verwehrt, da das Gastgeberland die Sowjetunion nicht anerkannt hatte. Rempel kehrte zurück, um seine Gemeinden seelsorgerlich zu versorgen, doch ihm wurde der Dienst behördlich untersagt, und er starb als Märtyrer. Zwischen 1925 und 1952 haben die mennonitischen Repräsentanten, die die Weltkonferenzen besuchten, sich langsam mit den sprachlich unterschiedlichen Traditionen (Holländisch, Französisch, Deutsch, Russisch, Englisch) der Mennoniten bekannt gemacht, die größtenteils aus Europa und Nordamerika kamen und solange abgesondert und von ihrer Umgebung geprägt waren, dass eine gemeinsame Abendmahlsfeier nicht möglich war. Immerhin war aber Gemeinschaft untereinander entstanden. Während der nächsten Phase (1952 bis 1972) wurde auf den Versammlungen herauszufinden versucht, ob es möglich sei, eine gemeinsame theologische Erklärung zu Jesus Christus, der Kirche und dem Heiligen Geist zu erarbeiten, wie das bereits auf den früheren Konferenzen des Weltkirchenrates geschehen war. Zwischen 1972 und 2009 setzte eine Wende ein, die auf das Nord-Süd-Gefälle ausgerichtet war. Die erste Mennonitische Weltkonferenz in der südlichen Hemisphäre fand 1972 in Curitiba (Brasilien) statt. Die meisten Teilnehmer kamen aus Lateinamerika. Brasilien wurde von einer Militärjunta auf eine Weise regiert, die niederländische Mennoniten herausforderte, gegen die Verletzung der Allgemeinen Menschenrechte zu protestieren. Die nächste Konferenz fand 1978 in Wichita (Kansas), im Herzen Nordamerikas statt. Was aber den gastgebenden Gemeinden besonders deutlich vor Augen geführt wurde, war die Realität großer Delegationen aus der ganzen Welt, von denen viele sich weder auf Englisch noch auf Deutsch miteinander verständigen konnten. Der Stil der Gottesdienste und Veranstaltungen forderte nach und nach ein Umdenken. Die Mehrheit der Teilnehmer an der Weltkonferenz in Calcutta (1997) waren Inder mit einer Vielzahl eigener Sprachen und darüber hinaus große Delegationen mennonitischer Konferenzen aus anderen Teilen Asiens und aus Afrika, so dass die europäischen und amerikanischen Mennoniten zu einer statistischen und sprachlichen Minderheit geworden waren, die das Konferenzgeschehen mehr dominieren konnte. So kamen die Themen des christlichen Zeugnisses, besonders Leiden und Armut, kraftvoll zum Ausdruck. Darauf folgten Weltkonferenzen in Zimbabwe (2003) und Paraguay (2009), und danach gingen die Position des Exekutivsekretärs und sein Sekretariat an Kolumbianer über. Auch das gehörte zur Neuordnung der Struktur der mennonitischen Weltgemeinschaft.
Eine mit den Weltkonferenzen in Beziehung stehende Weise, die Entwicklungen in der mennonitischen Weltgemeinschaft zu beschreiben, ist, die Entwicklungen zu skizzieren, die sich einstellten, nachdem einige mennonitische Missionsgesellschaften 1975 eine Konsultation zur Weltmissionsarbeit nach San Juan (Puerto Rico) einberufen hatten. Das Schlagwort, das in den Berichten von dieser Konsultation am häufigsten vorkam, war „Gegenseitigkeit“ in der Mission. Mit der Anerkennung der notwendigen Elemente der Gegenseitigkeit waren Partnerschaft in gemeinsamen Missionsinitiativen, Variationen in der thematischen Gestaltung der „Gegenseitigkeit in der Mission“ oder die Strukturierung der Partnerschaft auf dem Missionsfeld die Themen der Konsultationen, die oft in Verbindung mit den Versammlungen der Mennonitischen Weltkonferenzen danach zustande gekommen waren. Nach Calcutta 1997 ereignete sich eine Wende auf einer besonderen Versammlung in Guatemala im Jahr 2000. Die Bestimmung der Programmatik durch nordamerikanische Missionsagenturen wechselte zu dem so genannten Global Mission Forum. Das war eine Bemühung, die Anwälte der Mission und die führenden Persönlichkeiten aus der ganzen Welt an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. Daraus wurde 2009 schließlich eine Mission and Service Commission unter dem Dach der Mennonitischen Weltkonferenz. Für einige war das ein Zeichen, dass sich die gestaltenden Kräfte in der mennonitischen Weltgemeinschaft auf den Süden hin verlagert hatten.
Während dieser Zeit war auch eine andere Entwicklung bemerkenswert, nämlich dass sich nordamerikanische, von Denominationen getragene Missionswerke und ihre aus der Missionsarbeit entstandenen Kirchen weltweit zu treffen begannen. Einige mennonitische Konferenzen in Europa und Amerika, die nur in einem begrenzten Kontakt mit Mennoniten auf anderen Kontinenten standen, fanden nun Gelegenheit, für eine vertiefende Gemeinschaft durch Besuche und Austausch im Rahmen der Mennonitischen Weltkonferenz. Die Mennoniten-Brüdergemeinden suchten nach Wegen, Strukturen der Gegenseitigkeit aufzubauen und einen bewussten Austausch von Kräften zu fördern. Zu diesem Zweck gründeten sie die International Conference of Mennonite Brethren Churches (ICOMB), wie sie heute genannt wird. Die Mennonite-Brethren-Mission, früher eine hauptsächlich amerikanische und kanadische Agentur, entwickelte aktiver als zuvor eine Zusammenarbeit weltweit und hielt nach neuen Initiativen überall in der Welt Ausschau. Die Kirche der Brethren in Christ (BIC), die ebenfalls erst spät im 20. Jahrhundert realisierte, dass ihre BIC-Kirchen in anderen Kontinenten viel größer, wenn auch ärmer waren als die nordamerikanischen Kirchen, trafen sich als BIC-Familie jährlich. Die Lancaster Mennonite Conference, eine von 22 Konferenzen innerhalb der Old Mennonite Church, hat mit Eastern Mennonite Mission ein großes Missionswerk errichtet. 1997 ist eine International Missions Association (IMA), wie sie heute heißt, entstanden, in der führende Missionsmitarbeiter den Austausch untereinander pflegen und den Gottesdienst sowie den Alltag im Kreis der gastgebenden Kirchengemeinschaft miteinander erleben. Auch die Arbeit der mennonitischen Missionswerke in den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich und Deutschland, die ab 1951 im Europäischen Mennonitischen Evangelisationskomitee und später in der European Mission Fellowship (EMF) zusammengeschlossen sind, fügen sich in den Rahmen der neueren Entwicklungen im Sinne der „Missio Dei“ (Zendingsraad (Niederlande), Schweizerische Mennonitische Mission, Comité de Mission Mennonite Francais, Deutsches Mennonitisches Missionskomitee). Allen gemeinsam ist die starke Betonung, die auf das kraftvolle Wirken des Heiligen Geistes in der Mission gelegt wird. Alle diese „globalen Familien“ sehen sich aus historischen und theologischen Gründen als engere Familie miteinander verbunden, sie sehen sich aber auch zutiefst als Teil der „mennonitischen Weltgemeinschaft“.
Bibliografie (Auswahl)
Abe J. Dueck, Bruce L. Guenther und Doug Heidebrecht (Hg), Renewing Identity and Mission: Mennonite Brethren Reflections after 150 Years. Winnipeg, 2011. - Abraham Friesen, Erasmus, the Anabaptists, and the Great Commission. Grand Rapids, MI, 1998. - Hans-Jürgen Goertz, Das Schwierige Erbe der Mennoniten, Leipzig 2002. - Paul G. Hiebert, Transforming Worldviews : An Anthropological Understanding of How People Change. Grand Rapids, MI, 2008. - Alle Hoekema, Dutch Mennonite Mission in Indonesia. Historical Essays Occasional Papers, Elkhart, IN, 2001. - James R. Krabill, Walter Sawatsky und Charles Edward van Engen (Hg.), Evangelical, Ecumenical, and Anabaptist Missiologies in Conversation : Essays in Honor of Wilbert R. Shenk, Maryknoll, N.Y., 2006. - Diether Goetz Lichdi, Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart. Von Der Täuferbewegung zur Weltweiten Freikirche, 2., erweit. Aufl., Weisenheim und Bolanden 2004. - Mission Focus: Annual Review, 1–20, Elkhart, IN, 1992–2012 (www.ambs.edu; enthält auch Anabaptist Mission Bibliography (bis 2010). - Mary Raber und Peter F. Penner (Hg.), History and Mission in Europe: Continuing the Conversation. Festschrift für Walter Sawatsky, Schwarzenfeld 2011. - Wilbert R. Shenk und Peter Penner Hg.), Anabaptism and Mission, Prag 2007. - Wilbert R. Shenk, By Faith They Went Out : Mennonite Missions, 1850–1999. Elkhart, IN, 2000.
Lexikonartikel
Andrew Walls, Art. Missiologie, Philip Potter, Art. Mission und Dietrich Werner, Mission Structure of Congregations, in: Geoffrey Wainright (Hg.), Dictionary of the Ecumenical Movement, Grand Rapids, MI, 1991. - S. F. Pannabecker, Art. Missions, Foreign Mennonite in: Mennonite Encyclopedia, Bd. 3, 1957; Wilbert Shenk, Art. Mission and Missiology, in: Mennonite Encyclopedia, Bd. 5, 1990.
Walter Sawatsky