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Sabbater
„Sabbater“ (auch: Sabbatarier, Sabbatisten; lat. Sabbatarii, Sabbatariani) ist Ketzername zur Bezeichnung von Christen, die den Sabbat beobachten, insbesondere von Täufern in Mähren, die ab etwa 1530/32 den Sabbat anstelle des Sonntags feierten.
1. Verurteilte Irrlehre
Die in der Spätantike häufig bezeugte christliche Sabbatobservanz wird in der patristischen Literatur als judaisierende Praxis (d. h. als Festhalten an einem der seit dem Tod Christi aufgehobenen Zeremonialgebote des mosaischen Gesetzes) bekämpft und in Can. 29 des Konzils von Laodicaea (ca. 343–381) als Irrlehre verurteilt. In der patristischen und mittelalterlichen häreseologischen Tradition wird die Praxis der Sabbatobservanz mit verschiedenen Häresien in Verbindung gebracht. Als Gruppenbezeichnung kommt der Begriff Sabbater bzw. Sabbatarii erst im 16. Jahrhundert in Gebrauch (z. B. 1532 bei Erasmus von Rotterdam, Opera Omnia V-3, 310; wohl unter Rückgriff auf Martial, Epigr. 4. 4. 7, wo die Wortbildung in anderem Kontext bereits vorchristlich belegt ist). Die Bezeichnung wurde zunächst auf die täuferischen Sabbater in Mähren, seit dem späten 16. Jahrhundert auch auf sabbatobservante Unitarier in Siebenbürgen und im 17. Jahrhundert auf Gruppen puritanischen Ursprungs in England und Neuengland (vor allem die Seventh Day Baptists) bezogen.
2. Entstehung der Sabbater in Mähren
Laut der hutterischen Gemeindechronik (A. J. F. Zieglschmid, Die älteste Chronik der Hutterischen Brüder, 86) wurden die Nikolsburger Täufergemeinden (die aus der Reformation Balthasar →Hubmaiers in Stadt und Grundherrschaft Nikolsburg 1526/27 hervorgegangenen waren) von separatistischen Täufergruppen (die sich seit 1527/28 aus der apokalyptischen Taufbewegung Hans →Huts gebildet hatten) als Schwertler und Sabbater bezeichnet (→Mähren). Die ersten Belege dafür, daß unter den Täufern die Forderung nach Beobachtung des im Dekalog gebotenen Sabbats anstelle des nur durch die kirchliche Tradition begründeten Sonntags erhoben wurde, weisen ins Jahr 1529. Zu der Diskussion um die Restitution des Sabbats trug maßgeblich der ehemalige Priester Oswald Glaidt bei. Glaidt war zunächst Prediger in Nikolsburg und gehörte zu den engsten Mitarbeitern Hubmaiers, schloß sich aber im Mai 1527 dem durch Mähren ziehenden Hans Hut an. Während sich unter den von Hut geprägten Täufergruppen nach dem Ausbleiben des von Hut für Pfingsten 1528 angekündigten Weltendes der Grundsatz der Wehrlosigkeit durchzusetzen begann, hielt Glaidt daran fest, daß obrigkeitliche Ämter, Todesstrafe und Kriegsdienst für die Christen erlaubt seien. In seiner Schrift Wie, wann und wo man das Blutgesetz oder die Gerichte Gottes handeln, führen und brauchen soll von 1530 (Martin Rothkegel, Die Sabbater, 2013) leitete er aus der fortdauernden Geltung des Dekalogs, der im Neuen Testament nicht aufgehoben sei, die fortdauernde Legitimität des Schwertes ab: Alle Gebote des Dekalogs seien in der Bibel mit der Todesstrafe bewehrt. Sofern die Gebote im wörtlichen Sinn weitergelten, müsse auch die entsprechende Strafe weitergelten. Diese biblizistische Argumentation schließt eine rein spirituelle Deutung der Gebote des Dekalogs aus. So gelangt Glaidt zu der Forderung, auch der Sabbat müsse im wörtlichen Sinne beobachtet werden. Der Sabbat stehe als „Zeichen der Hoffnung“ auf gleicher Stufe mit der Taufe als dem Zeichen des Glaubens und dem Abendmahl als Zeichen der Liebe (vgl. die Dreiheit von Glaube, Liebe und Hoffnung, 1. Kor. 13, 13).
3. Kontroversen um die Sabbater
Im November 1531 bat der Nikolsburger Grundherr Leonhard von Liechtenstein die Theologen Wolfgang →Capito und Caspar →Schwenckfeld in Straßburg und Valentin Krautwald in Liegnitz um Gutachten über eine (verschollene) Schrift Glaidts Vom Sabbat. Die Gutachten lehnten Glaidts Argumentation ab (Quellen zur Geschichte der Täufer 7, 363–393; Corpus Schwenckfeldianorum 4, 444–518). Gegen Krautwalds (verschollenes) Gutachten richtete der Nikolsburger Täuferprädikant Andreas →Fischer 1532 eine (verschollene) Replik mit dem Titel Scepastes Decalogi („Beschirmer des Dekalogs“), auf die Krautwald mit einer Gegenschrift (Jürgen Kaiser, Ruhe der Seele, 264–298) antwortete. Fischer unterzeichnete drei Jahre später gemeinsam mit vier weiteren Nikolsburger Täuferprädikanten ein Glaubensbekenntnis der Nikolsburger Täuferkirche vom 10. Juni 1535 (Martin Rothkegel, Die Sabbater, 2013), das noch 1566 in der Gemeinschaft der Sabbater in Gebrauch war. Das Bekenntnis steht deutlich in der Tradition der Theologie Hubmaiers. Anscheinend führte also die „schwertlerische“ Nikolsburger Täuferkirche 1531/32 die Feier des Sabbats anstelle des Sonntags ein. Die Nikolsburger Täufer vertraten das Prinzip, dass alle „Menschensatzungen“, d. h. nicht in der Heiligen Schrift gegründeten religiösen Praktiken, abzuschaffen seien (vgl. Mt. 15,13). Sie griffen Glaidts Forderung nach der Restitution des Sabbats offenbar unter dem Eindruck des Sabbat-Arguments der zeitgenössischen katholischen Kontroverstheologen Johannes Cochlaeus, Johannes Eck und Johannes Fabri auf. Diese sahen im Festhalten der Protestanten am Sonntag eine Inkonsequenz gegenüber dem protestantischen Schriftprinzip: Der Sonntag sei nicht in der Schrift, sondern von der Kirche eingesetzt. Wer die kirchliche Tradition und Lehrautorität ablehne und nur die Schrift gelten lassen wolle, müsse daher mit den Juden den Sabbat feiern.
Martin →Luther wusste von den Sabbatern nur vom Hörensagen. In seinem Sendbrief Wider die Sabbather an einen guten Freund von 1538 (Martin Luther, Werke, 50, 308–337) nahm er die ihm vorliegenden Nachrichten über christliche Sabbatobservanz zum Anlass für eine antijüdische Polemik.
Im Zuge einer von König Ferdinand I. durchgesetzten Täuferverfolgung in Mähren mussten die Nikolsburger Täufer 1535 aufhören, ihre Gottesdienste in den Pfarrkirchen von Stadt und Grundherrschaft Nikolsburg zu feiern, blieben dort aber in den folgenden Jahrzehnten noch stark vertreten. Erst nach 1560 waren die Nikolsburger Pfarrstellen wieder mit Geistlichen besetzt, zunächst mit lutherischen Pfarrern, 1579–83 erfolgte eine systematische Rekatholisierung. In Gestalt der Sabbater-Gemeinden wirkte die von Hubmaier geprägte Tradition des Nikolsburger Täufertums bis in die 1580er Jahre in Südmähren nach, danach verlieren sich die Spuren der täuferischen Sabbater. Ein direkter Zusammenhang mit den sabbatarischen Bewegungen des späten 16. Jahrhunderts in Siebenbürgen und des 17. Jahrhunderts in England ist nicht erkennbar.
Literatur (Auswahl)
Bryan B. Ball, The Seventh-Day Men. Sabbatarians and Sabbatarianism in England and Wales, 1600–1800, Oxford 1994. - Corpus Schwenckfeldianorum, Bd. 4, Leipzig 1914. - Róbert Dán, Matthias Vehe-Glirius. Life and Work of a Radical Antitrinitarian, Budapest 1982 (zum siebenbürgischen Sabbatarismus). - Jürgen Kaiser, Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung. Die Deutungen des Sabbats in der Reformation, Göttingen 1996. - David S. Katz, Sabbath and Sectarianism in Seventeenth-Century England, Leiden 1987. - Martin Luther, Werke, Weimar 1883 ff. - Opera Omnia Erasmi Roterdami, Amsterdam 1969 ff. - Quellen zur Geschichte der Täufer, Elsaß 1, Bd. 7, hg. von Manfred Krebs und Jean-Georges Rott, Gütersloh 1959. - Martin Rothkegel, Die Sabbater. Materialien und Überlegungen zur Sabbatobservanz im mährischen Täufertum, in: Rolf Decot und Matthieu Arnold (Hg.), Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006, 59–76. - Ders., Die Sabbater. Täuferischer Sabbatarismus in Mähren im 16. Jahrhundert, in: Anselm Schubert (Hg.), Sabbat und Sabbatarismus in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2014 (enthält Teiledition von Oswald Glaidt, Wie, wann und wo man das Blutgesetz oder die Gerichte Gottes handeln, führen und brauchen soll (1530) und Edition des Bekenntnisses der Nikolsburger Täuferkirche von 1535).
Martin Rothkegel