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Staat (das theologische Staatsverständnis der Mennoniten heute)

In dem Artikel über den „Staat“ hat Harold S. →Bender in The Mennonite Encyclodia (1959) ausführlich über die Einstellungen der Täufer und Mennoniten zum Staat berichtet. Er hat mit der Bemerkung eingesetzt, dass es bei den Täufern keine Theologie des Staates gebe, obwohl sie während des 16. Jahrhunderts die Übernahme staatlicher Ämter entschieden abgelehnt hätten. Ihre Glaubensüberzeugungen und ihr Handeln lassen jedoch auf eine implizite, sogar recht konsistente Theologie zurückschließen, die ihr Staatsverständnis leitete. Der Staat, ob gut oder böse, wurde als eine göttliche Ordnung verstanden und konnte deshalb nicht als böse zurückgewiesen werden. Oft wurde auf Röm. 13 hingewiesen, wo die Täufer die Auskunft erhielten, dass der Staat um der menschlichen Sünde willen notwendig sei und von Gott die Aufgabe erhalten habe, der Macht der Sünde mit dem legitimen Gebrauch des Schwertes, das ihm zur Verfügung stünde, Einhalt zu gebieten. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Täufer nicht von den großen Kirchen. Dennoch waren sie der Meinung, dass sich die Aufgabe des Staates größtenteils auf den Bereich „außerhalb der Vollkommenheit Christi“ bezieht (→Brüderliche Vereinigung von Schleitheim 1527) und sie sich deshalb nicht an ihr beteiligen könnten. Darin unterschieden sie sich von anderen Christen. Während der Staat die Übeltäter zu strafen, die Frommen zu schützen, Recht walten zu lassen, für die Armen und Bedürftigen zu sorgen hatte und die Gläubigen den Staat an seine gottgegebene Verantwortung zu mahnen versuchten, konnten sie sich dennoch nicht an der Ausführung der staatlichen Pflichten auf obrigkeitliche, an das Schwert gebundene Weise beteiligen. Ihre höhere Berufung ließ es nicht zu, Gewaltmittel anzuwenden (Historisch dürfte es sinnvoll sein, zwischen weltlicher Obrigkeit (Vormoderne) und Staat (Moderne) zu unterscheiden: →Obrigkeit).

1. Bemühungen um eine Ethik des Friedens unter den Täufern

Vier theologische Lehrstücke begründen offensichtlich die Forderungen der frühen →Täufer: 1. die Schrift, denn es dürfe nur getan werden, was die Schrift fordert, und nicht, was sie verbietet (→Schriftverständnis); 2. das Beispiel Jesu, denn die Gläubigen fühlen sich berufen, dem Weg Jesu zu folgen, was sein Leiden im Falle des Ungehorsams gegenüber dem Staat einschließt (→Nachfolge Jesu Christi); 3. die biblische Lehre Jesu, dass seine Nachfolger nicht über andere herrschen, sondern, wie er selbst, den Menschen dienen sollten; 4. die radikale Trennung von Kirche und Welt. In allen Dingen ist Christus unser Friede, und in allen Dingen, das schließt ein, von der weltlichen Obrigkeit zum Gehorsam aufgefordert zu werden, sollen die Gläubigen ihr Handeln an der Identität mit Christus ausrichten.

Bereits im 16. Jahrhundert herrschte Uneinigkeit unter den Täufern über die Lehre von der →Wehrlosigkeit und von der Nichtbeteiligung der Gläubigen an obrigkeitlichen Ämtern (vgl. James M. Stayer, Anabaptists and the Sword, 1976). Die wohl bekanntesten Beispiele für die Übernahme obrigkeitlicher Pflichten waren die Täufer in →Münster und Balthasar →Hubmaier am Bodensee und in Mähren. Sie rechtfertigten den Gebrauch des Schwertes für Christen unter bestimmten Umständen. Diese Gegenmeinung verbreitete sich in den folgenden drei Jahrhunderten besonders unter den Mennoniten in den Niederlanden, Deutschland und Russland. Die schweizerischen Mennoniten blieben der ursprünglichen Auffassung am längsten treu. Einen eigenen Weg schlugen die nordamerikanischen Mennoniten ein. Wie es oft bei Einwanderern der Fall ist, war die Loyalität gegenüber den Idealen ihrer Herkunft Teil der Gründe auszuwandern. Aus diesem Grunde bestanden sie zunächst mehr auf der Absonderung von den Aktivitäten des Staates. Offensichtlich gibt es dafür auch nichttheologische Gründe, z. B. sich Zeit zum Erlernen der Sprache und Kultur der neuen Heimat zu nehmen. Während diese eingewanderten Mennoniten natürlich damit beschäftigt waren, ihre eigenen Gemeinden zu verwalten (das bedeutet, dass ihr Glaube nicht nur etwas mit geistlichen Dingen, sondern auch damit zu tun hatte, wie zu regieren und zu verwalten sei), waren nur wenige von ihnen mit Angelegenheiten des Staates beschäftigt. Bald aber wurden einige Polizisten und einige nahmen andere öffentliche Positionen ein, einige wurden sogar gewählt, um Aufgaben in den Verwaltungen der Bundesstaaten zu übernehmen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das politische Engagement selbstverständlicher, einige Mitglieder der Mennonitengemeinden wurden Politiker und nahmen Regierungsämter wahr. Manchmal, aber nicht immer, mussten sie deshalb die Mennonitengemeinde – gewöhnlich auf eigenem Wunsch – verlassen. All das bedeutete, dass die →Absonderung von der Welt und vom Staat, auch wenn sich die pazifistische Auffassung in allen mennonitischen Glaubensbekenntnissen erhalten hatte, nicht mehr so strikt eingehalten wurde wie in den frühren Jahren dieser Glaubenstradition.

2. Kritische Distanz gegenüber dem Staat heute

John Howard →Yoder ist der wohl bedeutendste Theologe unter den Mennoniten, der über den Staat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachgedacht hat. Wenige Jahre nach Benders Enzyklopädieartikel erschien Yoders Aufsatz über The Christian Witness to the State (1964), in dem er eine ausdrücklich christliche Theologie entwickelte, um zu zeigen, wie der Staat zu sehen sei und wie Christen sich auf ihn beziehen sollten. Zwei allgemeine Eindrücke sind in dieser Abhandlung bemerkenswert: Erstens bemüht sich Yoder nicht um eine Theologie, die eine Zusammenfassung aller Glaubensauffassungen der Mennoniten bietet, auch bezieht er sich nicht explizit auf täuferisch-mennonitische Quellen, um seine theologischen Positionen zu begründen. Seine Überlegungen laufen auf eine christliche Theologie allgemein hinaus und sind nicht auf den Rezipientenkreis der Mennoniten beschränkt. Das ist bedeutsam, da auf diese Weise ein Stil, Theologie zu treiben, signalisiert wird, der die Argumente nicht auf eine separatistische Methodologie einengt, sondern die Weite biblischer und theologischer Quellen zur Geltung bringt. Was für mennonitische Christen gilt, müsste auch für alle Christen richtig sein. Zweitens vertritt Yoder die Meinung, dass das für Christen angemessene Verhalten dem Staat gegenüber das Zeugnis („witness“) sei. Damit meint er eine bestimmte moralische Haltung, die in den Auseinandersetzungen um eine Staatsethik der Christen im 20. Jahrhundert nicht allgemein, aber doch, wie er meint, biblisch begründet sei. Dieses Zeugnis ordnet die Beziehung zwischen Kirche und Staat anders als in der Weise einer totalen Absonderung von oder der gänzlichen Teilnahme an den Aufgaben des Staates und beruft sich auf Jesus, ihren besten Lehrer.

Yoder gründet die Logik seines ethischen Denkens auf zwei Forderungen: 1. Die Beziehung, in der die Gläubigen zu Jesus Christus stehen, verbietet den Gebrauch von Gewaltmitteln und eine Beteiligung am Töten menschlicher Wesen; und 2. ist nicht zu erwarten, „dass die soziale Ordnung im Ganzen ohne den Einsatz von Gewalt funktioniert (…), denn Gewalt ist die wahre Natur des Staates“ (John Howard Yoder, The Witness to the State, 6 f.). Diese beiden Forderungen müssten zu drei Möglichkeiten führen: Entweder ist die Lehre Jesu von der Liebe und Gewaltlosigkeit für die Christen heute irrelevant oder Christen könnten nicht mit dem Staat gemeinsam handeln oder die Erwartungen an die moralischen Fähigkeiten des Staates sind zu niedrig veranschlagt. Es sind nun genau diese drei Möglichkeiten, die Yoder verwirft. Die erste verwirft er in der Auseinandersetzung mit Reinhold Niebuhr, die zweite in der Kritik an der Absonderung der Mennoniten und die dritte im Streit mit liberalen Pazifisten. Ein Zeugnis gegenüber dem Staat abzulegen, ist eine moralische Haltung, die auf Unterscheidungen achtet (d. h. in die Gemeinde hinein ist anders zu reden als in den staatlichen Bereich hinein) und zieht „mittlere Axiome“ heran, um die Prinzipien, die in der Kirche gelten, in analogen Begriffen in Staat und Gesellschaft verstehbar und anwendbar zu machen. Yoder bemüht sich in allen seinen Veröffentlichungen darum zu zeigen, welche Auswirkungen sein Jesusverständnis auf eine politische Theologie hat.

In The Politics of Jesus (1972) hat Yoder seine Argumente in seiner Auslegung von Rö. 13 noch einmal vorgetragen. Hier meint er, dass die Aufforderung, jedermann habe der Obrigkeit untertan zu sein (Rö. 13, 1), nicht bedeutet, dass jeder den Anweisungen des Staates zu gehorchen habe. „Untertan“ zu sein, heißt für Christen vielmehr, die Macht des Staates als legitim und von Gott geordnet anzuerkennen. Das stellt die kirchlichen Beziehungen zum Staat unter das Modell des Kreuzes und der Auferstehung Jesu. Das Kreuz folgte auf das Zeugnis, das Jesus gegenüber Pilatus ablegte, dass jener nämlich keine Macht habe außer der, die ihm von Gott gegeben sei, aber gerade damit unterstellte Jesus sich den Mächten, die ihn töteten. Das ist, so meint Yoder, die christliche Art, allen Mächten, auch dem Staat, zu begegnen: Unterordnung (was nicht notwendigerweise Gehorsam bedeutet) unter die Mächte und Glaubensgehorsam gegenüber Jesus Christus. Das schließt nicht Verweigerung der Beteiligung an staatlichen Ämtern ein, wohl aber fordert es, den Staat unter die Herrschaft Gottes zu stellen, wie sie in Jesus Christus offenbart ist. Für Christen bedeutet das, eine kritische Distanz zu halten, um aus ihr heraus alternative Überzeugungen, wie sie in Jesus Christus offenbart sind, zu bezeugen.

3. Verantwortung in Staat und Gesellschaft

Andere mennonitische Theologen waren sich weniger sicher als Yoder, dass die Metapher des Zeugnisses die beste Art und Weise sei, christliche Ethik zu verstehen, oder dass sie genau das bedeutet, was Yoder meinte. In den späten 1950er Jahren schrieb J. Lawrence →Burkholder eine Dissertation an der Princeton University, in der er eine alternative Metapher für Sozialethik ausarbeitete und sich so für die Beteiligung an Aufgaben des Staates einsetzte, nämlich soziale Verantwortung zu übernehmen (erst mehr als dreißig Jahre später veröffentlicht: J. Lawrence Burkholder, The Problem of Social Responsibility, 1989). In dieser Untersuchung beginnt er auf eine Weise zu argumentieren, die Yoder entgegengesetzt ist: Während Yoder meint, dass alle Christen die Bedeutung der Nachfolge so verstehen sollten, wie die Mennoniten sie verstehen, nämlich die politischen Lehren Jesu ernst zu nehmen, meint Burkholder, dass die Mennoniten die komplexen und sündhaften Wege der menschlichen Natur und den Fall der Welt nicht genügend beachtet hätten. Das traditionelle mennonitische Naturverständnis sei einfach naiv und müsse verändert werden. So ist die Suche nach „moralischer Vollkommenheit“, wie sie in ethischen Lehrauffassungen der Mennoniten gefordert wird, der „verantwortlichen“ Existenz des Menschen in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht angemessen. Burkholder sieht in den theologischen Schriften Reinhold und H. Richard Niebuhrs eine Hilfe, eine christliche Ethik zu entwerfen, die mit seinen eigenen Erfahrungen moralischer Zweideutigkeit einhergeht.

Burkholder hat erfahren, wie ihm seine Arbeit in Positionen politischer Macht und Verwaltung Probleme mit der Metapher des Zeugnisses bereitet hat. Als Direktor einer Kommission der Vereinten Nationen in China und als Präsident des Goshen College (Indiana) sah er sich wiederholt genötigt, Kompromisse mit den sozialen Strukturen einzugehen, die er nicht einfach nur zurückweisen oder für irrelevant erklären konnte. Langsam begann er zu erkennen, dass Jesus keine „Ethik der Institutionen“ entwickelt habe, da dieser, wie Burkholder fomuliert, „solche Geschäfte nicht betrieb“ (J. Lawrence Burkholder, The Limits of Perfection, 19: „did not run anything“). Sünde und komplizierter Umgang mit dem Bösen verlangen eine moralische Einstellung, die einfach nicht in der Bergpredigt Jesu erörtert worden war. Die „Feindesliebe“ Jesu mag die Norm für christliches Verhalten sein, aber sie ist nicht einfach nur normativ.

4. Just Policing

Yoder und Burkholder stellen sich das christliche Leben auf gegensätzliche Weise vor. Besonders in Nordamerika sind diese beiden Sichtweisen – die Metaphern des Zeugnisses und der sozialen Verantwortung – so etwas wie die Buchstützen einer Auseinandersetzung unter den Mennoniten über die Frage, wie dem Ruf Jesu Christi in Gehorsam zu folgen sei. So argumentiert A. James Reimer beispielsweise in etwa auf der Linie Burkholders, dass mehr Aufmerksamkeit dem Naturrecht und der menschlichen Natur entgegenzubringen sei, als es die mennonitische Tradition getan hat, wenn es darum ging, sich darüber zu verständigen, wie im Gehorsam des Glaubens zu leben sei. Und das trägt den Christen über Standardformulierungen einer Theologie der Nichtbeteiligung an Staatsgeschäften hinaus. Gemeinsam mit Gerald Schlabach und anderen meint Reimer, dass Christen sich, statt den Krieg als legitime Form der Konfliktbewältigung zu unterstützen, für das alternative Modell des „just policing“ (gerechte Führung der Polizei) einsetzen sollten, welches die Gewalt begrenzt, wenn es auch den Gebrauch von Gewaltmitteln und die Androhung mit Gewalt nicht ausschließt. Er sagt, „dass Polizeieinsatz ohne Gewaltandrohung, sogar Bedrohung des Lebens, unrealistisch sei. Meine Position wäre, dass Christen „just policing“ als Alternative zum Krieg unterstützen, auch wenn die Drohung mit tödlicher Gewalt sich gelegentlich als unumgänglich erweisen sollte“ (A. James Reimer Christians and War: A Brief History of the Church's Teachings and Practices (Minneapolis, MN, 2010), 170. Einige Theologen, die in Rufnähe zu Reimers „just policing“ arbeiten, haben sich für „just peacemaking“ (gerechten Frieden schaffen) eingesetzt (Glen H. Stassen (Hg.), The New Paradigm for the Ethics of Peace, 2004; John Howard Yoder, The War of the Lamb, hg. von Glen H. Stassen u. a., 2009).

Andere mennonitische Theologen haben geringfügig voneinander abweichende Vorschläge gemacht, wie über die Teilnahme an der öffentlichen Ordnung und am Regierungshandeln zu sprechen sei. Da gibt es jene, die meinen, dass Polizeieinsätze wohl in einem Staat unter Gott berechtigt seien, doch dass die Nachfolger Christi, die an solchen Einsätzen beteiligt sind, für sich selbst die Grenzen ihres Engagements klar bestimmen müssen, beispielsweise sich nur an gewaltfreien Einsätzen zu beteiligen, um Konflikte zu lösen. Das muss nicht die Annahme einschließen, dass alle Konflikte nur auf diese Weise gelöst werden könnten. Sollte es aber Konflikte geben, die nicht gewaltfrei beendet werden können, dürfen sich die Nachfolger Christi nicht an einer solchen Konfliktbewältigung beteiligen; und wenn sie ein Amt innehaben, dass die Bereitschaft zur eventuell notwendigen Gewaltanwendung fordert, dann müssen solche Ämter gemieden werden. Nur so bleiben die Christen ein Zeichen dafür, das Christus uns ruft, jetzt auf eine Weise zu leben, zumindest es zu versuchen, die der Welt zugemutet wird, letztlich auch selbst zu leben.

Manchmal wird von einer Partnerschaft zwischen Kirche und Staat von Fall zu Fall gesprochen. Hier wird betont, dass es Projekte und Visionen gibt, die beiden gemeinsam sind, wie Sicherheit, Erziehung, Gesundheitswesen, Entwicklung guter und gerechter Strukturen, Friedenssicherung usw. Gleichzeitig können sich auch Anlässe einstellen, denen Christen nicht mit gutem Gewissen so folgen werden, wie der Staat es tut oder verlangt. Entscheidungen, die ad hoc zu fällen sind, lassen eine Beteiligung an ausgewählten Projekten zu, weil Interessen sich überschneiden, sofern Christen sich eine Art von Kritik bewahren und die Möglichkeit herausfinden, worauf sie auf keinen Fall verzichten wollen.

5. Neuere Versuche, für den Frieden zu arbeiten

In Nordamerika sind während der letzten fünf Jahrzehnte bedeutende Wege beschritten worden, „die Mächtigen auf den Frieden anzusprechen“, indem Mitarbeiter des →Mennonite Central Committe (MCC) am Regierungssitz in Washington (seit 1968), Ottawa (seit 1975) und bei den Vereinten Nationen in New York (seit 1991) akkreditiert wurden. An zahlreichen Orten hat das MCC Möglichkeiten geschaffen, über Fragen einer Friedenstheologie zu diskutieren, z. B. in Friedenskomitees des MCC und in Gesprächen zur Theologie des Friedens. Diese Interaktionen trieben die Mennoniten voran, Fragen zu diskutieren, wie pazifistisch eingestellte Christen das Evangelium vom Frieden im Hinblick auf staatliche Strukturen verkündigen sollten. Der Ansatz, der sich in diesen fünf Jahrzehnten herausbildete, war, für den Frieden einzutreten („advocacy“). Das kommt dem „Zeugnis“ nahe, sofern ein solcher Ansatz alternative Perspektiven aufzeigt, die sich aus dem Glauben ergeben, sofern er warnt und den Regierungen Grenzen in der Anwendung von Gewaltmitteln aufzeigt. Gelegentlich muss auch geschwiegen (oder geklagt) werden, wenn man nicht zu sagen weiß, was helfen könnte. Eine solche Option stößt unter den Friedensaktivisten auf nur wenig Sympathie. Bill Janzen, einst Direktor des MCC-Büros in Ottawa, vertrat aber folgende Meinung: „Meine Faustregel ist, dass das MCC nicht den Gebrauch von Gewalt durch den Staat gutheißen sollte, aber dass es Momente gibt, in denen wir davon Abstand nehmen sollten, den Staat zu kritisieren (Mennoniten kritisieren gewöhnlich nicht Polizeikräfte). Es gibt Zeiten, still zu bleiben“ (Bill Janzen, Speaking to Government, 2012).

Das Thema der Beziehung zwischen Kirche und Staat hat längst nicht die Dringlichkeit unter den mennonitischen Friedenstheologen der Gegenwart, die es haben sollte. Vielleicht liegt das daran, dass die Unterscheidung zwischen Kirche und Staat in gewissem Grade strittig geworden ist. Das heißt, wenn es sich gezeigt hat, dass Christen, darunter auch Mennoniten, so sehr mit den Strukturen und Angelegenheiten der Welt bzw. des Staates verwickelt sind, kann es keine reine (friedliche) Stelle geben, auf der es zu stehen möglich wäre. Es muss beispielsweise gesehen werden, dass es keine klaren Unterscheidungen geben könne, wenn die mennonitischen Mitarbeiter im Gesundheitswesen Staatsbedienstete sind, die mennonitischen Schulen aus Staatsmitteln unterstützt, die Pensionen und das Kindergeld vom Staat bezahlt und die Steuern eingesetzt werden, Kriege zu finanzieren, gegen die Mennoniten sind. Wenn der Staat „wir“ ist, wie das in demokratischen Staaten der Fall ist, wo der Bürger der Souverän ist, wird nicht mehr die Beziehung zwischen zwei bestimmten Größen, Kirche und Staat, zum Problem, sondern der Glaubensgehorsam inmitten eines gewaltigen Sturms. Dann aber ist es auch schwer, den christlichen Frieden zu bezeugen. In dieser komplexen Welt der gegenseitigen Beziehungen oder Verflechtungen ist es tatsächlich theologisch gefährlich geworden, den Frieden als eine quantifizierbare und stabile Größe zu konzipieren, aber es ist ebenso gefährlich für Christen, ihn ganz mit der sozialen Logik von Gewalt erfassen zu wollen. Diese doppelte Gefahr definiert heute den Ort, an dem der Nachfolger Christi steht, und viel von den Gesprächen, die unter den mennonitischen Moraltheologen geführt werden. Vielleicht ist das nicht neu. Es war immer der Fall, dass, wenn Menschen sich der Fremdheit Christi aussetzten, dem wandernden messianischen Prediger, der von Ort zu Ort zog und seinen Jüngern Frieden anbot, Demut und heiliger Mut gefordert war. Das Geschenk, das wir erhalten und das Geschenk, das wir weitergeben, haben heiligende Macht weit über die eigenen Fähigkeiten hinaus, sich das vorzustellen. So ist die Herausforderung heute, wie sie immer schon war: der Kampf, Zeugnis abzulegen vom Fürsten des Friedens, während die eigene Verstrickung in Gewalt wahrgenommen und so der Versuchung widerstanden wird, den Frieden Christi zu beherrschen.

Bibliografie

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Harry Huebner

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