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Krefeld (Mennonitengemeinde)

1.Vorgeschichte: Das Täufertum am Niederrhein

Die Krefelder Mennonitengemeinde wurzelt im niederrheinischen Täufertum des 16. Jahrhunderts. Seit Ende der 1520er Jahre breiteten sich die Täufer am Niederrhein – zwischen Siebengebirge und Kleve und zwischen Maas und Bergischem Land – trotz obrigkeitlicher Unterdrückung und Verfolgung aus. Sie standen unter dem Einfluss von Menno →Simons und wurden daher zu Recht als „Mennoniten“ bezeichnet. Sie bewahrten bis zum Ende des Jahrhunderts eine in der Bann- und Meidungsfrage abweichende und unabhängige Position. Mit der Herausgabe der Confessio des Thomas von Imbroich (ca. 1560), dem Druck des ältesten deutschen mennonitischen Liederbuches Ein schon gesangbüchlein Geistlicher lieder (nach 1563) und mit der Vereinigung in dem von Leonard Klock initiierten, von niederrheinischen Ältesten erarbeiteten Konzept von Köln (1591) etablierten sich die Mennoniten als eigene evangelische Konfessionsgruppe am Niederrhein. Heimliche und netzartig untereinander verbundene täuferische Gemeinden gab es in den Reichsstädten Köln und Aachen, auch in zahlreichen Orten in den Vereinigten Herzogtümern von Jülich-Kleve-Berg und im Erzstift Köln. Außer in den beiden Reichsstädten lebten besonders viele Täufer im Gebiet um Gladbach, nicht weit von Krefeld. Nur knapp zehn mennonitische Gemeinden am Niederrhein überlebten den Dreißigjährigen Krieg.

2. Die Krefelder Mennonitengemeinde vom Beginn des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Die kleine Landstadt Krefeld mit ihrem als „Herrlichkeit“ bezeichneten bäuerlichen Umland war eine Exklave der seit 1605 unter oranischer Herrschaft stehenden Grafschaft Moers und ganz von kurköllnischem Territorium umschlossen. Mit dem 1607 nach Krefeld zugezogenen Leinenhändler und späteren Ältesten Hermann op den Graeff und seiner Frau Greitgen begann die Geschichte der Krefelder Mennoniten. Von einer Gemeinde kann in Krefeld ab 1609 gesprochen werden, als der reformierte Stadtpfarrer darüber klagte, dass die „Widerteuffer“ sich unterstünden, in der Stadt „ihre conventicula und versamblungen“ abzuhalten. In den folgenden Jahren wuchs die Gemeinde durch die Aufnahme von woanders vertriebener Glaubensgenossen. Auslöser dafür waren die Verfolgungen durch den 1614 katholisch gewordenen Herzog von Jülich-Berg, Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg sowie die im Kölner Erzstift durch Ferdinand von Bayern vorangetriebene Rekatholisierung. In Krefeld standen die Mennoniten, entgegen den Wünschen des Magistrats und der tonangebenden reformierten Landeskirche, unter dem Schutz der oranischen Landesherren.

1632 nahm der Älteste Hermann op den Graeff zusammen mit einem weiteren Gemeindemitglied an der Synode in Dordrecht teil und unterschrieb das dortige Einigungspapier (→Bekenntnisse). Im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts übernahmen die Krefelder Mennoniten das Holländische als „Kirchensprache“ und behielten es bei, bis sie im Zuge der nachnapoleonischen Nationalbegeisterung (nach 1814) wieder durch das Deutsche ersetzt wurde.

Bei der endgültigen Vertreibung der Mennoniten aus dem jülischen Gladbach (1654/55), zogen die meisten von ihnen, etwa 70 Familien, nach Krefeld. Trotz des Widerstands der städtischen Obrigkeit und des reformierten Konsistoriums entschied die oranische Landesherrschaft zugunsten der Mennoniten: Sie sollten in Krefeld bleiben und ungehindert ihrer Beschäftigung nachgehen dürfen und die Möglichkeit haben, für den Waffen- und Wachdienst einen Ersatzmann zu stellen bzw. einen Ausgleich zu zahlen. Außerdem hatten sie eine jährliche Anerkennungsgebühr zu leisten. Die endgültige Lösung brachte das Reglement en Ordonnantie op de Justitie, Politie en Administratie, das Wilhelm III. von Oranien am 25. Juli 1678 erlassen hatte. Es erlaubte den Mennoniten, sich in der gesamten Grafschaft anzusiedeln und das volle Bürgerrecht zu erwerben. Ein sichtbares Zeichen der Gleichstellung der mennonitischen mit den reformierten Einwohnern der Stadt war der Bau einer, auch äußerlich als solcher erkennbaren, eigenen Kirche (1695).

Zum Beginn des 18. Jahrhunderts (1716) umfasste die Gemeinde etwa 440 Personen in 99 Haushalten. Das entsprach fast einem Viertel der gesamten Krefelder Bevölkerung (ca. 1900). Wegen der stärkeren Zunahme der übrigen Stadtbevölkerung verringerte sich später der prozentuale Anteil der Mennoniten wieder: 1750 machten die 172 mennonitischen Haushaltsvorstände 18,7 Prozent aus, und 1786 waren es nur noch 10,7 Prozent.

Die mit der von ihnen betriebenen Textilverarbeitung (Seide) und dem Handel wohlhabend gewordenen Gemeindemitglieder wurden zu einem in Krefeld bestimmenden Wirtschaftsfaktor.

Nach dem Herrschaftswechsel von den Oraniern zu den Hohenzollern (1702/03) erkannte die preußische Landesherrschaft die Rechte der Mennoniten an, und 1721 einigte sich die Gemeinde mit der Obrigkeit auf die Zahlung einer besonderen Abgabe, um ihre Gemeindeglieder vom Militärdienst freizustellen (→Wehrlosigkeit). Von den durch die sieben mennonitischen Gemeinden im preußischen Rheinland (Duisburg, Emmerich, Goch, Hamm, Kleve, Krefeld, Rees) jährlich gemeinsam aufzubringenden 500 Reichstalern entfiel die Hälfte der Summe auf die Krefelder. Innerhalb der Gemeinde richtete sich die Höhe der Abgabe nach dem Vermögen der einzelnen Gemeindemitglieder.

Letzter Punkt der Gleichstellung mit der landeskirchlich-reformierten Gemeinde Krefelds war das bis dahin von dem reformierten Stadtpfarrer wahrgenommene und mit Stolgebühren verbundene Proklamationsrecht. Im September 1738 entschied der preußische König, dass die mennonitischen Prediger „ihre zu verehelichenden glaubensgenoßen selbsten in ihrer eigenen kirche proclamieren mögen, ohne davon das geringste an andere kirchen zu bezahlen“. Seither führte die Gemeinde ein eigenes Eheregister neben dem Taufregister (Eintragungen seit 1701), einem Geburtsregister (ab 1764) und schließlich einem eigenen Sterberegister (ab 1765).

Zwischen 1680 und 1730 versuchten →Quäker, Labadisten und Dompelaars und später die Pietisten um Gerhard →Tersteegen in der Stadt Fuß zu fassen. Zu ihnen unterhielten die Mennoniten mehr oder weniger ausgeprägte Beziehungen, bis hin zu Predigten von Vertretern der neuen Bewegungen in ihrer Kirche und Verheiratungen untereinander oder einzelnen Übertritten.

In ihrer organisatorischen Struktur veränderte sich die mennonitische Gemeinde nur geringfügig gegenüber den Anfangsjahren. Nach wie vor war sie selbstständig und unabhängig und gehörte zu keinem größeren Kirchverband. Über die Geschicke der Gemeinde entschied die Versammlung der getauften männlichen Mitglieder (1720: ca. 100 Mitglieder), sie wählte den Kirchenvorstand und die Prediger. Wenn es wie im Fall der Militärabgabe um die Finanzen ging, hatten die einen Haushalt führenden Witwen mitzureden. Das Amt eines „allein regierenden“ Vorstehers, „Bischofs“ oder Ältesten war zwischenzeitlich durch ein aus „Dienern“ bestehendes Leitungsgremium, „Konsistorium“, ersetzt worden. Dazu gehörten seit Beginn des 18. Jahrhunderts sechs Diakone und die zwei bzw. drei Prediger („Lehrer“). Ab 1794 gab es neben dem „kleinen“ das „große“ Konsistorium, dem außer den derzeitigen die ehemaligen Mitglieder des „kleinen“ Konsistoriums angehörten. Ab 1770 stellte die Gemeinde, an Stelle der bisherigen Laienprediger, am Amsterdamer Mennonitenseminar ausgebildete Theologen als hauptberufliche Prediger an, die später die Amtsbezeichnung „Pastor“ oder „Pfarrer“ übernahmen.

Im 19. Jahrhundert wuchs zwar die Mitgliederzahl der Gemeinde (1786: 625, 1812: 662, 1840: 768, 1867: 922 Mitglieder), ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nahm jedoch weiter ab und machte 1905 mit 901 Mitgliedern nur noch 0,81 Prozent aus. Parallel dazu, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß, ging die Bedeutung der Mennoniten als wesentlicher Wirtschaftsfaktor der Stadt allmählich zurück. Die Kirchenpolitik der Gemeinde im 19. Jahrhundert war bestimmt von internen Diskussionen und den Verhandlungen mit den staatlichen Stellen über die Frage der Teilnahme von Mennoniten am Militärdienst sowie der Wahrnehmung von öffentlichen Ämtern. Mit der aus dem Glauben begründeten „Gewissensfreiheit“ wurde es dem einzelnen Gemeindemitglied freigestellt, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Die jungen Mennoniten konnten von der Möglichkeit der Kabinettsordre vom 3. März 1868 Gebrauch machen und den Dienst waffenlos als Lazaretthelfer, Schreiber oder im Train ableisten. Sie konnten aber auch, ohne dass die Gemeinde Vorbehalte äußerte oder gar Sanktionen erließ, sich dem als „ehrenvoller“ angesehenen Waffendienst unterziehen (→Wehrlosigkeit).

Seit der Franzosenzeit (1794–1815) übernahmen mennonitische Gemeindemitglieder öffentliche Ämter in der Kommune und auf Landesebene. Einer von ihnen, Hermann von →Beckerath (1801–1870), brachte es bis zum Reichsfinanzminister in der Frankfurter Nationalversammlung. In der mit einer Amtsübernahme verbundenen Frage des →Eides wurden für alle Seiten akzeptable Lösungen gefunden (bis heute gültige Verordnung vom 11. März 1827).

Rainer Kobe

3. Entwicklung der Gemeinde im 20. Jahrhundert

Die gesellschaftliche Tendenz zur Säkularisierung setzte sich in Deutschland mit Beginn des 20. Jahrhunderts fort und beeinflusste auch die Krefelder Mennoniten. Die Zahl der Gemeindemitglieder nahm bis zum Zweiten Weltkrieg stetig ab, so dass bei gleichzeitigem Anstieg der Krefelder Bevölkerung der wirtschaftliche und politische Einfluss der Mennoniten in der Stadt weiter zurückging (1895: 1% der Bevölkerung, 1936: 0,38% der Bevölkerung Krefelds).

Für die Mennonitengemeinde beginnt das 20. Jahrhundert mit der Wahl Gustav →Kraemers (1863 – 1948) Er versah diesen Dienst von 1903 bis 1936. Mit seiner liberalen, vom Gedankengut des Idealismus geprägten Sichtweise trat er für die Freiheit im Geiste ein. Zu dieser Freiheit trugen in Kraemers Augen die Mennoniten als Initiatoren bei, da die Erwachsenentaufe (→Taufe) als Möglichkeit der freien Entscheidung für die Religion eine Voraussetzung für eine freie Persönlichkeitsentfaltung darstellte. Kraemer predigte ein „praktisches Christentum“, das sich im vorbildlichen Handeln zeigen sollte. Unter seiner Regie fand der erste „Mennonitentag“ 1911 in Krefeld statt.

Die Weimarer Republik mit ihrer Polarisierung politischer Extreme und Herbeiführung gesellschaftlicher Veränderungen im Bewusstsein eines verlorenen Krieges (→Weltkrieg, Erster) und die neutrale Haltung des Staates zur Religion verstärkten die herrschende geistige Orientierungslosigkeit. Die Zahl der Gemeindemitglieder schrumpfte weiter. Diese Tendenz setzte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fort. Dennoch wurden die politischen Änderungen von Mitgliedern der Krefelder Gemeinde und ihrem Pastor zunächst begrüßt, da sie auf eine Wiederherstellung früherer geistiger und wirtschaftlicher Lebensverhältnisse, auf Ruhe und Ordnung, die Überwindung der Wirtschaftskrise und des Bolschewismus hofften (Gustva Kraemer, Wir und unsere Volksgemeinschaft, 1938, →Drittes Reich).

In Auseinandersetzung mit den Neuerungen der Zeit war bereits während der Kaiserzeit in der Krefelder Mennonitengemeinde vielfach auf die Wehrlosigkeit verzichtet worden. Dieses charakteristische Kennzeichen mennonitischer Überzeugung wurde zunächst oftmals zugunsten des Gedankens nationaler Einheit aufgegeben, nach dem Ersten Weltkrieg gewann jedoch auch der Aspekt der Wehrlosigkeit wieder an Bedeutung. Da in der Weimarer Republik die allgemeine Wehrpflicht aufgehoben worden war, brauchte in dieser Frage keine Entscheidung getroffen zu werden. Erst mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten kam es zu einer erneuten Diskussion und dem Verzicht auf das Sonderrecht, die Wehrpflicht verweigern zu dürfen.

Weiteren Konfliktstoff bot die mennonitische Verweigerung des →Eides) gegenüber der Obrigkeit, wenn auch in Krefeld anfangs weniger als in anderen Gemeinden. Neue Gesetze verlangten den Eid bei der Beamtenvereidigung oder der Mitgliedschaft in der Partei. Aus Sorge vor staatlichen Repressionen passten sich viele Gemeindemitglieder an. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten einige mennonitische Familien das öffentliche Leben Krefelds in Wirtschaft und Politik wesentlich beeinflusst. In den Jahren der Weimarer Republik gingen die politischen Aktivitäten dieser Familien aus vielerlei Gründen zurück. Mit dem Einzug des Nationalsozialismus verstärkte sich jedoch das politische Engagement von Gemeindemitgliedern wieder. Allerdings war dafür auch die Zugehörigkeit zur Partei der NSDAP Voraussetzung – mehrere Konsistoriumsmitglieder gehörten ihr an.

1935 stellte die Gemeinde zuerst als Hilfsprediger, ab 1937 als hauptamtlichen Pfarrer Dr. Dirk →Cattepoel (1912–1976) an, der aus der Mennonitengemeinde Neuwied kam. Er nahm zunehmend eine Gegenposition zur Theologie Kraemers ein. Die Bedeutung des Christentums zeigte sich ihm in der Botschaft vom Kreuz, und in dieser Botschaft fand er Antworten auf die Fragen der Zeit. Der Glaube an Jesus Christus war für ihn mehr, als einem Vorbild in der Lebensführung zu folgen. In Jesus Christus erschloss sich ihm der Sinn des Lebens.

Cattepoel belebte das Gemeindeleben und bemühte sich besonders, die Jugend der Gemeinde anzusprechen. Auch er befürwortete anfangs die Machtergreifung der Nationalsozialisten, doch sowohl er als auch Kraemer wurden vom Grauen der „Reichskristallnacht“ 1938 in Schrecken versetzt und gingen innerlich auf Distanz zum Nationalsozialismus. Im Rückblick auf sein Verhalten während des NS-Regimes berichtet er vom Zwiespalt zwischen Widerstand und Sorge um eine Gefährdung der Gemeinde. Insgesamt scheint die Krefelder Gemeinde in der Zeit des Nationalsozialismus von Existenzangst geprägt gewesen zu sein: Kompromisse bestimmten ihr Bild nach außen.

Der Bombenkrieg zerstörte 1943 die Krefelder Innenstadt, auch die mennonitische Kirche und das Altersheim wurden getroffen. Cattepoel war bereits 1942 als Wehrmachtspfarrer eingezogen worden und kehrte erst 1945 zurück. Mehrere Krefelder Mennoniten fielen im Krieg, andere Gemeindemitglieder waren durch Zerstörung oder Besetzung vertrieben worden. Erst nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes konnte ein Neuanfang beginnen.

Am 11. Dezember 1946 organisierte Cattepoel gemeinsam mit den anderen christlichen Gemeinden und der Unterstützung der Stadtverwaltung einen Hungermarsch durch Krefeld, an dem Tausende Menschen teilnahmen. Schon im Juli 1946 war die „Christliche Arbeitsgemeinschaft“, Vorgängerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, unter aktiver Mitarbeit der Mennonitengemeinde und ihres Pfarrers in Krefeld gegründet worden. Die Not in der Stadt war groß. Hilfe kam vom →Mennonite Central Committee (MCC), das im Februar 1947 eine Suppenküche einrichtete, die bis zum Sommer 1949 bis zu 7000 Kindern und alten Menschen aller Konfessionen eine tägliche Mahlzeit bot. Auch Kleidung wurde verteilt.

Die theologische Neuorientierung aber, um die Cattepoel sich bemühte, blieb in der Gemeinde umstritten. 1949 trat der ihm nahestehende Älteste Kurt von Beckerath von seinem Amt zurück. Cattepoel selbst legte 1950 aufgrund einer persönlichen Krise sein Amt nieder. In Daniel →Reuter (1904–1989), ehemals Pfarrer der rheinischen Landeskirche, wurde ein protestantischer, nicht unumstrittener Nachfolger gefunden, der von 1951 bis 1973 die Krefelder Mennoniten betreute und an die von Kraemer eingeschlagene liberal-theologische Linie wieder anknüpfte. Die wiedererrichtete Kirche wurde 1950 noch unfertig eingeweiht. Das heutige Gemeindehaus wurde mit Hilfe von amerikanischen →Paxboys aufgebaut. Es ist seit 1958 in Benutzung, wurde seither modernisiert und wechselnden Nutzungsbedürfnissen entsprechend umgebaut.

Nicht nur intern gab es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Veränderungen (→Weltkrieg, Zweiter). Durch den starken Zuzug von Mennoniten aus West- und Ostpreußen und anderen Gebieten im Osten wuchs die Gemeinde. Hatte sie 1949 noch 836 getaufte Mitglieder, lag diese Zahl im Jahr 1953 schon bei 1230, davon 870 Flüchtlinge. Die Integration dieser Heimatvertriebenen in die bestehende Gemeinde fiel in die Amtszeit Reuters, der versuchte, die unterschiedlich geprägten Gruppen innerhalb der Gemeinde einander anzunähern, Kontakte herstellte und viele Hausbesuche machte.

In Reuters Zeit erweiterte sich das ursprünglich auf die Stadt Krefeld und nähere Umgebung begrenzte Gemeindegebiet: die Krefelder Mennonitengemeinde wurde durch Eingliederung der aus etlichen Gruppen bestehenden Gemeinde Bergisches Land zu einer Flächengemeinde, deren Grenzen seit der Gemeindeordnung von 1962 auch offiziell von Aachen an der belgischen Grenze über die niederländische Grenze nach Emmerich, das Ruhrgebiet, Hamm, Iserlohn, Olpe und Bonn reichen. Von Krefeld aus zu versorgende Predigtorte gab es nun in Bonn, Düsseldorf und Hagen, für einige Jahrzehnte auch in Dortmund, Gummersbach und Köln.

1973 kam Dr. Hans Adolf Hertzler, zuvor Pfarrer der Gemeinden Enkenbach und Neudorferhof, als Nachfolger Daniel Reuters nach Krefeld. Während seines Wirkens bis zur Pensionierung 2004 entwickelte sich die zum großen Teil auch heute noch bestehende Struktur der Gemeindearbeit. Um den gestiegenen Anforderungen an eine Betreuung der Gemeindegruppen gerecht zu werden, wurde eine zweite Pfarrerstelle eingerichtet. Paul Amstutz, Pfarrer der evangelischen Kirche des Kantons Bern, für diese Zeit beurlaubt, betreute ab Januar 1979 bis Mai 1981 vor allem die Außengruppen, übernahm aber auch Aufgaben in Krefeld, z. B. die Jugendarbeit. Hans Adolf Hertzler führte 1974 den Taufunterricht als Wochenendtreffen für Jugendliche aus Krefeld und den auswärtigen Gruppen ein. Er regte die Gründung von Gesprächskreisen und Arbeitsgruppen (AGs) verschiedener Bereiche an und leitete zusammen mit Dorothea Ruthsatz den ersten Laienpredigerkurs in einer Gemeinde, die sich, anders als viele andere Mennonitengemeinden in Deutschland, bisher ganz auf Pfarrer mit universitärer Ausbildung gestützt hatte. Bis heute gibt es einen Kreis der Predigenden, dessen Mitglieder Andachten gestalten. Auch unterschiedliche Gottesdienstformen fanden unter Hans Adolf Hertzler ihren Weg in die Gemeinde, so „Biblische Texte im Gespräch, Jugendgottesdienste, narrative Predigten und Meditationen. Er war aktiv in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Krefeld tätig und betreute als Autor und Herausgeber zahlreiche Publikationen, sowie als Mentor das Vikariat von Bernhard Thiessen, dem späteren Pastor der Mennonitengemeinde Hamburg und Altona, Ende der 1980er Jahre.

1981 übernahm Dorothea Ruthsatz, die in der Krefelder Gemeinde aufgewachsen war und in Münster evangelische Theologie studiert hatte, als erste ordinierte, hauptamtliche mennonitische Pfarrerin in Deutschland die Betreuung der Außengruppen und der Jugendarbeit in der Krefelder Gemeinde (bis 1992). Sie gründete eine Friedensgruppe, initiierte die „Predigt im Briefumschlag“ und wirkte im Organisationsteam der bis heute stattfindenden Frauentagungen der norddeutschen Gemeinden mit.

Dr. Fernando Enns wurde in Krefeld ordiniert und war von 1992 bis 1994 schwerpunktmäßig in den Außengruppen tätig. Ihm folgte 1994 Christoph Wiebe zunächst als Pfarrer der Gemeindegruppen. Seit dem Weggang von Gabriele Harder-Thieme, die als Pfarrerin in Krefeld von 2004 bis 2012 die Aufgaben Hans Adolf Hertzlers übernommen hatte, ist er auch für die Betreuung der Krefelder Gemeindemitglieder zuständig. Mehrere Hauskreise wurden unter seiner Leitung gegründet. In der Stadt Krefeld ruft er mennonitische Geschichte durch „Stadtspaziergänge“ zu historischen Orten in Erinnerung.

Von 2013 bis 2016 war zudem mit Nathalie Eleyth eine Gemeindereferentin für die Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit verantwortlich, die durch ihre gleichzeitige Tätigkeit als Jugendreferentin der →Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden nicht nur die, von Hans Adolf Hertzler eingeleitete, erfolgreiche Verzahnung der Gemeinde in der überregionalen, mennonitischen Arbeit ermöglichte, sondern auch ökumenische Kontakte in Krefeld pflegte.

Die Mennonitengemeinde Krefeld war 1983 einer der Gastgeber der „Philadelphiade“, der Feier zum 300. Jahrestag deutscher Einwanderung in die USA unter Teilnahme des damaligen US-Vizepräsidenten George Bush. Dieses Jubiläum wurde in den USA und Deutschland gleichermaßen gefeiert. Von Krefeld aus hatte die erste größere Einwanderergruppe, dreizehn Familien von Quäkern und Mennoniten, die Reise in die Neue Welt angetreten und später den Ort Germantown gegründet, heute ein Vorort von Philadelphia. 1989 fand in Krefeld der Mennonitische Gemeindetag statt, der den Gemeindemitgliedern in so guter Erinnerung blieb, dass sie die Organisation 2014 nochmals übernahmen.

Die Mennonitengemeinde Krefeld hat heute (2015) rund 800 Mitglieder, von denen etwa 300 in der Stadt selbst wohnen, die Mehrheit jedoch außerhalb. Neben den Andachten in Krefeld finden Gottesdienste in Düsseldorf, Bonn und Hagen in den Räumen evangelischer Gemeinden statt, zudem gibt es in Aachen, Bonn, Düsseldorf und Krefeld Hauskreise, die sich in den Wohnungen von Mitgliedern treffen. Die Gemeinde ist Veranstaltungsort von Konzerten und beteiligt sich an Aktionen in der Stadt Krefeld. Es gibt monatliche Reihen wie die „Literatureinblicke“ und Gesprächskreise am Nachmittag, Projekte und Arbeitsgemeinschaften mit unterschiedlichsten Inhalten und Zielen. Seit 1975 findet in den Osterferien eine Kinderfreizeit statt, regelmäßig werden Treffen der Mennonitischen Jugend in den Räumen des Gemeindehauses durchgeführt. Mit den anderen christlichen Gemeinden vor Ort wird ein freundschaftlicher Austausch gepflegt, in der überregionalen und übergemeindlichen mennonitischen Arbeit der Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden, →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland, des Mennonitischen Hilfswerks und des Friedenszentrum in Berlin sind Krefelder vielfältig engagiert.

Hella Hebenstreit und Beate Muller-Behrend

Bibliografie (Auswahl)

Ernst Crous, Auf Mennos Spuren am Niederrhein, in: Der Mennonit 8 (1955), 155, 170 f, 186 f, Der Mennonit 9 (1956), 10 f., 26. - Ders., Von Täufern und Mennoniten am Niederrhein, in: Der Mennonit 9 (1956), 74–76, 90 f, 106–108. Frank Deisel, Zwischen Innerlichkeit und praktischem Christentum. Die Krefelder Mennoniten in der Zeit des Kaiserreiches (1871–19818), in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 157–203. - Wolfgang Froese, Revolution, Erweckung und Entkirchlichung. Die Krefelder Mennoniten von der Zeit der Französischen Revolution bis zur Gründung des Deutschen Reiches (1794–1871), in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 105–156. - Johann Friedrich Gerhard Goeters, Die Rolle des Täufertums in der Reformationsgeschichte des Niederrheins, Rheinische Vierteljahresblätter 24 (1959), 217–236. - Christian Hege (Hg.), Beiträge zur Geschichte rheinischer Mennoniten, Weierhof (Pfalz) 1939. - Lydie Hege und Christoph Wiebe, Die Mennonitengemeinde Krefeld von 1963 bis zur Gegenwart, in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 283 – 313. - Hans Adolf Hertzler (Hg.), 300 Jahre Mennonitenkirche Krefeld. 1693–1993, Krefeld 1993. - Ulrich Hettinger, Hermann von Beckerath. Ein preußischer Patriot und rheinischer Liberaler, Krefeld 2010. - Ralf Klötzer, Verfolgt, geduldet, anerkannt. Von Täufern zu Mennoniten am Niederrhein und die Geschichte der Mennoniten in Krefeld bis zum Ende der oranischen Zeit (ca. 1530–1702), in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 13–60. - Rainer Kobe, Täuferische Konfessionskultur in der Frühen Neuzeit. Mennoniten am Niederrhein und Hutterische Brüder in Mähren und Ungarn 1550–1750 (Bd. 185 Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte), Bonn 2014, 37–165 und 319–358. - Beate Kosterlitzky / Friedrich Zunkel, Krise und Versagen. Die Krefelder Mennoniten in der Weimarer Republik und während des „Dritten Reiches“ (1919–1945), in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 205–249. - Gustav Kraemer, Wir und unsere Volksgemeinschaft, Vortrag am 25. Januar 1938, Den Gemeindegliedern überreicht vom Consistorium der Mennonitengemeinde Krefeld, Krefeld 1938. - Peter Kriedte, Äußere Erfolge und beginnende Identitätskrise. Die Krefelder Mennoniten im 18. Jahrhundert (1702–1794), in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 61–104. - Ders., Taufgesinnte und großes Kapital. Die niederrheinisch-bergischen Mennoniten und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes (Mitte des 17. Jahrhunderts – 1815), Veröffentlichung des Max Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 223, Göttingen 2007. - Siegfried Ochs (Hg.), 66 Jahre Ökumene in Krefeld: 1946 – 2012, Krefeld 2012. - Karl Rembert, Die „Wiedertäufer“ im Herzogtum Jülich. Studien zur Geschichte der Reformation, besonders am Niederrhein, Berlin 1899. - Karl Rembert und Ernst Crous, Art. Krefeld (1955), in: Mennonite Encyclopedia (Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia, online). - Hertha Sagebiel, Wiederaufbau und Neuorientierung. Die Krefelder Mennoniten in der Nachkriegszeit (1945–1962), in: Wolfgang Froese (Hg.), Sie kamen als Fremde. Die Mennoniten in Krefeld von den Anfängen bis zur Gegenwart, Krefeld 1995, 251- 282. - Piet Visser, Die Krefelder Mennoniten im Rahmen der niederländischen Mennonitengeschichte, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2008, 9–33. - Christoph Wiebe, Die Krefelder Mennoniten und die Wehrlosigkeit. Eine symbolische Abgrenzung im Wandel der Zeit, in Mennonitische Geschichtsblätter 2008, 114–146. - Rudolf Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer. Ein Beitrag zur deutschen und niederländischen Literatur- und Kirchengeschichte, Berlin 1903, 90–118 (Mennonitische Lieder in Deutschland).

Rainer Kobe, Hella Hebenstreit und Beate Muller-Behrend

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