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Augsburg

Neben Zürich und Straßburg war Augsburg das dritte Zentrum der frühen Täuferbewegung (→Täufer) in den Jahren zwischen 1525 und 1530. Hier bildete sich für eine allerdings nur kurze Zeit ein eigenständiger missionarisch ausgerichteter Zweig des Täufertums heraus, der sich deutlich von den eher nach innen gerichteten Ausprägungen der Schweizer Täufer sowie der →Hutterischen Brüder in →Mähren unterschied. Darüber hinaus fand in Augsburg 1527 die „Märtyrersynode“ statt, das einzige große Treffen von Abgesandten der verschiedenen Täufergruppen aus Süddeutschland, der Schweiz und Österreich während der Frühzeit dieser Bewegung.

1. Frühreformatorische Bewegungen

Am Beginn der Reformationszeit war die Reichsstadt Augsburg eine der größten und bedeutendsten Städte Deutschlands. Sie dürfte damals etwa 20.000 bis 25.000 Einwohner gehabt haben. Nicht nur die großen Handelshäuser der Fugger und Welser, sondern auch viele kleinere Gesellschaften betrieben von hier aus einen umfangreichen und teilweise sogar weltweiten Geschäftsverkehr. Allerdings gehörte nur ein geringer Teil der Bevölkerung diesem reichen Bürgertum an. Die große Mehrheit der Bevölkerung besaß kein versteuerbares Vermögen, was zu großem sozialen Zündstoff führte. Sowohl der Luxus und die Wucherei der großen Handelshäuser als auch die beklagenswerte Verweltlichung der Geistlichkeit brachten die Bevölkerung gegen die Besitzenden und gegen den Klerus auf und bereiteten damit den Boden für die Reformation allgemein und für radikal-reformatorische Gruppen im Besonderen. Dies galt umso mehr, als die Stadt ja auch ein Zentrum geistiger Auseinandersetzungen war. Hier gab es immerhin dreizehn Druckereien, in denen jährlich annähernd 500.000 Schriften produziert wurden.

Als Martin →Luther 1518 zum Verhör vor dem römischen Kardinallegaten Cajetan nach Augsburg kam, wurde er von der Bevölkerung begeistert empfangen. Augsburg stand nahezu ungeteilt auf Seiten Luthers und wurde nach 1520 mehr und mehr zu einer Hochburg der Reformation. Dazu trugen unter anderem die große Verbreitung der Bibel (so erschienen allein in den Jahren von 1473 bis 1490 in Augsburg nicht weniger als sechs Ausgaben der Heiligen Schrift) sowie verschiedener reformatorischer Schriften bei. Dieser reformatorische „Gärungsprozess“ führte nun allerdings nicht unmittelbar zur Entstehung einer radikalreformatorischen Täufergemeinde, sondern zunächst nur zu einer Reihe von radikalen und provokativen Aktionen wie Gottesdienststörungen sowie scharfen Protesten und Anklagen gegen die Geistlichkeit. Wortführer hinter diesen Aktionen war der am Augsburger Barfüßerkloster predigende Mönch Johann Schilling, dessen Ausweisung durch den Rat Anfang August 1524 zu einer erregten Protestversammlung auf dem Rathausplatz mit mehr als 1.000 Teilnehmern führte. Darüber hinaus entwickelte sich nun auch unter den Augsburger Evangelischen der überall im Land aufbrechende lutherisch-zwinglische (Ulrich →Zwingli) Abendmahlsstreit. Dabei standen die Anhänger der sich allmählich bildenden Augsburger Täuferbewegung dezidiert auf Seiten des Schweizer Reformators. Zu ihnen gehörten insbesondere auch der Patrizier Eitelhans Langenmantel, ein späteres Mitglied der hiesigen Täufergemeinde, sowie der ehemalige Schweizer Kaplan Ludwig →Hätzer, um den sich zwischen Juni 1524 und September 1525 eine kleine religiöse Gemeinschaft bildete. Auch wenn er sich aufgrund seiner spiritualistischen und antitrinitarischen Anschauungen nie den Täufern anschloss, kann er doch als einer der Wegbereiter für die Bildung einer eigenständigen Augsburger Gemeinde angesehen werden.

2. Zentrum des süddeutschen Täufertums

Etwa zur gleichen Zeit, als Hätzer ausgewiesen wurde, trat in Augsburg erstmals der eigentliche Gründer und Lehrer der hiesigen Täufergemeinde in Erscheinung: der Schulgelehrte und Theologe Hans →Denck. Er war in St. Gallen mit dem Schweizer Täufertum in Kontakt gekommen. In Augsburg übernahm er die Leitung der von Hätzer gegründeten radikalreformatorischen Gemeinschaft, wobei auch weiterhin die Tauffrage selbst vor 1526 in diesem Kreis nicht diskutiert wurde.

Zum Vollzug der Gläubigentaufe bedurfte es vielmehr noch eines weiteren Anstoßes von außen. Dieser Anstoß kam ebenfalls von den Schweizer Täufern, vor allem von Balthasar →Hubmaier, dem „Täuferreformator“ von Waldshut. Hubmaier stammte aus der Nähe von Augsburg, aus Friedberg, daher auch sein Zuname „Friedberger“ (lateinisch: „Pacimontanus“). Als Doktor der Theologie hatte er sich seit 1523 der zwinglischen Reformation zugewandt, neigte während der Züricher Disputationen jedoch mehr und mehr den täuferischen Gruppen zu und ließ sich schließlich 1525 in Waldshut taufen. Ende April 1526 kam Hubmaier nach Augsburg. Sein Zusammentreffen mit Denck gab den letzten Anstoß zum Vollzug der Gläubigentaufe und zur Bildung einer eigenen Gemeinde. Wahrscheinlich noch in den ersten Maitagen 1526 wurden Denck und eine Reihe weiterer Anhänger der Bewegung von Hubmaier getauft. So beschrieb dies Peter Gynoräus, ein Gefolgsmann Zwinglis, in einem Brief aus Augsburg nach Zürich, dass Hubmaier hier viele zu seinen Anhängern gemacht, also getauft habe. Hubmaier zog allerdings schon im Juni 1526 weiter nach Mähren, wo er eine ganz eigenständige Täuferkirche aufzubauen begann.

Erster Vorsteher der Augsburger Täufergemeinde wurde Hans Denck, in dessen Haus sich am 20. Mai 1526 auch Hans →Hut, der später so erfolgreiche Täufermissionar, von Denck taufen ließ. Hier baute Denck in den nächsten Monaten bis zu seiner Ausweisung aus Augsburg im Oktober 1526 die kleine Gemeinde behutsam weiter auf, die bald zur Keimzelle für eine erstaunlich anwachsende Bewegung in der Stadt selbst und weit darüber hinaus werden sollte. Zunächst blieb die Gemeinde nun jedoch ohne Leiter zurück. Erst aufgrund der Wirksamkeit des im Spätherbst 1526 nach Augsburg gezogenen Schweizer Täufers Jakob Groß kam es zu einer Neubelebung. Groß taufte hier nachweislich in den Jahren 1526 und 1527 mindestens 22 Personen und war auch für einige Zeit als Vorsteher der Gemeinde tätig. Im Frühjahr 1527 taufte dann der immer wieder für einige Tage auch in Augsburg weilende Hans Hut eine Reihe namentlich bekannter Personen: den Patrizier Eitelhans Langenmantel, die ehemaligen Geistlichen Jakob Dachser, Sigmund Salminger und viele andere mehr.

Hans Denck und Hans Hut waren die beiden bedeutendsten Theologen der frühen Augsburger Täuferbewegung. Auch wenn Denck und Hut beide nur für relativ kurze Zeit in Augsburg wirken konnten, so kann dennoch ihr Einfluss auf die hiesige Gemeinde gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Sie gaben hier in den Jahren 1526 und 1527 vier ihrer wichtigsten Täuferschriften heraus (Hans Denck: Vom Gesetz Gottes, 1526, sowie Wer die Wahrheit wahrlich lieb hat, 1527; Hans Hut: Von dem Geheimnis der Tauf, 1526/27, sowie Eine christliche Unterrichtung, wie die göttliche Schrift verglichen und geurteilt soll werden, 1527). Dencks Theologie führte zu der eher spiritualistischen Ausprägung des hiesigen Täufertums. Mit seinen Gedanken über Bekehrung und Heiligung war er zugleich ein Vorläufer der pietistischen Bewegungen des 17. Jahrhunderts. Hut dagegen, ursprünglich ein fanatischer Anhänger Thomas →Müntzers, wurde zum bedeutendsten Missionar der Täuferbewegung in Süddeutschland und Österreich. Seine Endzeitberechnungen aber und seine Lehre von der Erschlagung der Gottlosen durch die Auserwählten am Tage des Gerichts wurden von der Mehrheit der Augsburger Täufer abgelehnt.

1527 waren Sigmund Salminger und Jakob Dachser zu neuen Vorstehern der Augsburger Gemeinde gewählt worden und bauten diese dann weiter auf. In der Zeit von Februar bis September 1527 taufte allein Salminger nachweislich 74 Personen. Beide waren darüber hinaus auch literarisch tätig: Von dem Vorsteher Sigmund Salminger sind 13 Psalmen und Lieder bekannt, von seinem Stellvertreter Jakob Dachser sogar 42 Dichtungen. Außerdem gab Dachser später, nämlich im Jahr 1529, ein eigenes täuferisches Gesangbuch heraus, nicht nur das älteste Augsburger Gesangbuch, sondern eines der ersten nach Luthers Auftreten überhaupt. Schließlich veröffentlichte Jakob Dachser im Juli oder August 1527 eine Art Programmschrift der Augsburger Täufergemeinde: Ein göttlich und gründlich Offenbarung von den wahrhaftigen Widertäufern, mit göttlicher Wahrheit angezeigt.

Täuferisches Gemeindeleben spielte sich allerdings im Unterschied zu den herkömmlichen katholischen bzw. zu den neuen reformatorischen Gottesdiensten nicht in den großen Kirchen, sondern eher privat in Häusern und Gärten ab. Neben der „Wiedertaufe“ war es diese besondere Form des Gemeindelebens, die beim Stadtrat und auch bei den Priestern und Pfarrern in Augsburg zunehmend Argwohn und Misstrauen erweckte. Abschätzig sprach man von den „Gartenbrüdern“ und „Winkelpredigern“, von der „neuen Sekte“ und ihren verdächtigen „Rottierungen“. Im Jahr 1527 fanden mindestens 50 Hausversammlungen statt, für die ersten Monate des Jahres 1528 sind sogar an die 60 Treffen bekannt. Anhand der erhalten gebliebenen Unterlagen lassen sich für die Jahre 1526 bis 1529 ungefähr 300 Augsburger Bürger als Mitglieder der hiesigen Täufergemeinde nachweisen, was etwa 1,5 % der damaligen Stadtbevölkerung entsprechen dürfte.

Sowohl die Gemeindemitglieder insgesamt als auch deren Vorsteher kamen, nachweisbar aufgrund der von ihren erbrachten Steuerleistungen, aus allen sozialen Schichten mit Ausnahme des zahlenmäßig als sehr gering anzusetzenden Großbürgertums. Neben den einheimischen Vorstehern nahmen die zahlreich nach Augsburg reisenden „Täuferapostel“ eine Sonderstellung ein, Wandermissionare, die als leitende Brüder anerkannt und verehrt wurden und oftmals starke Impulse zur Belebung der Täuferbewegung gaben. Welch große Bedeutung Augsburg für das oberdeutsche Täufertum hatte, zeigte sich u. a. auch daran, dass hier im Laufe der Zeit mindestens 59 derartige auswärtige Täufermissionare tätig waren.

So entwickelte sich Augsburg zu einem der großen Zentren der frühen Täuferbewegung. Dies wurde deutlich insbesondere daran, dass hier vom 20. bis 24. August 1527 die später so benannte Augsburger „Märtyrersynode“ stattfand. Der Name sollte darauf hinweisen, dass zahlreiche der hier versammelten Täuferführer später den Märtyrertod erleiden mussten. Ziel dieses überregionalen Treffens von rund 60 Abgesandten verschiedener süddeutscher, schweizerischer und österreichischer Täufergruppen war es, im Nachgang zu dem von den Schweizer Täufern am 24. Februar 1527 erarbeiteten Schleitheimer Bekenntnis eine umfassende Verständigung und ein einheitliches Fundament für die verschiedenen Ausprägungen täuferischer Frömmigkeit zu erarbeiten. Augsburg als Tagungsort schien dafür aufgrund seiner zentralen Lage besonders geeignet, da die Stadt ziemlich genau in der Mitte zwischen den Täufergemeinden im Elsass, in der Schweiz, in Tirol und in Mähren lag. Die größte Gruppierung unter den Teilnehmern bildeten die Anhänger des Missionars und Propheten Hans Hut. Ihnen standen die pazifistisch gesinnten Schweizer Täufer um Jakob Groß sowie eine dritte Gruppe um den eher spiritualistischen Theologen Hans Denck gegenüber. Die Augsburger Gemeindemitglieder waren zum Teil an Hans Hut, zum Teil an den Schweizer Täufern orientiert.

In den strittigen theologischen Fragen wurde allerdings keine Einigung erzielt. Hans Hut widersprach den pazifistischen Ansichten der Schweizer Täufer, indem er Eidesleistung und Waffentragen befürwortete. Auch die Forderung der Schweizer nach einer einheitlichen Kleiderordnung stieß auf seinen entschiedenen Widerstand. Zu einer gewissen Einigung kam es nur im Hinblick auf die täuferische Eschatologie. Mit großer Mehrheit wurde Huts Prophetie, dass dreieinhalb Jahre nach dem Bauernkrieg, nämlich zu Pfingsten 1528, das Gericht Gottes kommen würde, „die Sünde gestraft und die Obrigkeit ausgerottet werden sollte“, verworfen. Hut nahm daraufhin diese Endzeitprophetien zwar nicht zurück, versprach jedoch, seine Lehre in Zukunft nur noch denen mitzuteilen, die dieses selbst „herzlich begehrten“. Das wichtigste Ergebnis der Täufersynode war jedoch die Aussendung von Missionaren „in Erwartung des nahen Weltendes“. Einzeln oder zu zweit wurden täuferische Sendboten in genau zugewiesene Missionsgebiete geschickt: nach Worms, ins Baseler und Züricher Gebiet, nach Vorarlberg, nach Franken, nach Bayern, nach Linz, nach Österreich und ins Salzburger Land. So stellt die Augsburger Märtyrersynode einen Höhepunkt und zugleich einen Wendepunkt in der Entwicklung des frühen Täufertums dar. Denn hier waren für lange Zeit zum letzten Mal Täuferführer so unterschiedlicher Prägung in so großer Zahl zusammen. Danach führte der Weg der meisten täuferischen Gemeinden und auch der von Augsburg ausgesandten täuferischen Sendboten in Verfolgung, Isolation und ins Martyrium.

Ende 1527/Anfang 1528 hatte die Täuferbewegung in Augsburg ihren Höhepunkt erreicht. Trotz des am 11. Oktober 1527 durch den Stadtrat erlassenen Verbots und erster Verhaftungen intensivierte sich das Gemeindeleben weiter. Die verhafteten Täuferführer wurden umgehend durch andere ersetzt. So wurde noch im Oktober 1527 Augustin →Bader, ein kompromissloser Anhänger Hans Huts, als neuer Vorsteher gewählt. Bereits im April 1528 floh Bader aber nach Straßburg, wo er sich vom gemeindlich verfassten Täufertum lossagte und bis zu seiner Hinrichtung 1530 apokalyptische und kabbalistische Lehren verbreitete. In Augsburg traf man sich dessen ungeachtet am Ostermorgen, dem 12. April 1528, erneut zu einer größeren Versammlung im Haus der Susanna Daucher, der Frau des Bildhauers Adolf Daucher (von dem u. a. der Fuggeraltar in der Augsburger St. Anna Kirche stammt, ein Meisterwerk der deutschen Frührenaissance). Diesmal aber schlug der Rat mit voller Härte zu. Männer und Frauen wurden verhaftet, in „Eisen“ gelegt und langen Verhören, teilweise auch der Folter, unterzogen. Insgesamt konnte man 88 Personen festnehmen, darunter 43 auswärtige Täufer. Aufgrund der Verhöre wurden in den nächsten Tagen 72 weitere Täufer festgenommen. Die meisten Verhafteten wurden ausgewiesen, viele hinausgepeitscht, manche durch den „Brand auf die Backen“ als Ketzer gezeichnet. Der Täuferführer Hans Leupold wurde am 25. April 1528 „aus Gnaden“ mit dem Schwert hingerichtet. Unter den Augsburger Gemeindemitgliedern setzte nun eine Fluchtbewegung ein, die das ganze Jahr 1528 über anhielt. Etwa 100 Augsburger Täufer sollen im Frühjahr 1528 in Straßburg Asyl gefunden haben. Andere gingen nach Esslingen, nach Reutlingen, ins Württembergische, nach Nürnberg und nach Regensburg. Später richtete sich der Auswandererstrom vor allem nach →Mähren, dem „gelobten Land“ der Täufer, wo Balthasar Hubmaier Gemeinden begründet hatte, die sich dort relativ frei und ungestört entwickeln konnten.

In Augsburg selbst konnte man nun nicht mehr zusammenkommen. Doch um die Stadt herum lebte das Täufertum zunächst weiter. Man traf sich in einsamen Wirtshäusern, in dichten undurchdringlichen Wäldern oder an geschützt gelegenen Orten auf freiem Feld. In Täfertingen und Göggingen, zwei Dörfern in der näheren Umgebung, bildeten sich eigene kleine Gemeinden. Die Kontinuität des Täufertums nach 1528 mit der Täuferbewegung der Anfangsjahre war allerdings relativ schwach. Sigmund Salminger, Jakob Dachser und Jakob Groß, Vorsteher der Gemeinde zur Zeit ihrer Gründung, widerriefen zwischen Dezember 1530 und Juni 1531 und sagten sich vom Täufertum los. Dennoch kam es unter der Leitung der neu gewählten Vorsteher Jos Riemer und Hans Kendter 1531 noch einmal zu größeren Versammlungen, zunächst außerhalb von Augsburg, dann aber auch am 5. März 1531 in aller Öffentlichkeit im evangelischen Predigthaus von St. Ulrich. Erneut ging der Rat massiv mit Drohungen und Folterungen gegen die täuferischen Unruhestifter vor. Zwar blieb das Täufertum in Augsburg im Untergrund dennoch weiter bestehen. Nach letzten Verhaftungen Mitte 1533 und im Frühjahr 1535 hoffte der Rat, die hiesige täuferische Bewegung nun endgültig zerschlagen zu haben.

3. Spätzeit der Bewegung

In den Jahren um 1535 ereigneten sich Geschehnisse, die sich für die Taufgesinnten in Augsburg als ausgesprochen negativ auswirken sollten. Zum einen war da die täuferische Gewalt- und Schreckensherrschaft in Münster 1534/35, durch die das Misstrauen und der Argwohn in der Bevölkerung gegenüber der Bewegung insgesamt verstärkt wurden. Zum anderen wurde durch die Einführung einer evangelischen Kirchenordnung 1537 in Augsburg der täuferischen Kirchenkritik weitgehend der Boden entzogen. In den folgenden Jahren war deshalb tatsächlich nur noch sehr selten von einzelnen Täufern die Rede. 1540, 1545 und 1547 wurden noch einmal einige wenige Täufer, die nicht zum Widerruf bereit waren, aus der Stadt gewiesen.

Zu dieser Zeit hielt sich jedoch in Augsburg bereits der Mann auf, der das Täufertum hier noch einmal aufbauen und zu einer bescheidenen späten Blüte führen sollte: Pilgram →Marpeck, einer der bedeutendsten Täuferführer des 16. Jahrhunderts. Marpeck stammte aus Tirol, hatte wahrscheinlich im Frühjahr 1528 in Augsburg die Glaubenstaufe empfangen und war bis 1531 als Täuferführer in Straßburg und seither in Südtirol und in Süddeutschland tätig gewesen. 1544 war Marpeck als Wasserbauingenieur vom Rat der Stadt Augsburg in Dienst genommen worden. Um ihn sammelte sich nun sehr bald ein kleiner Kreis von Taufgesinnten, u. a. die Adlige Helena von →Freyberg, der Maler Georg Propst Rotenfelder, Kompilator des so genannten Kunstbuches (→Kunstbuch), einer umfangreichen täuferischen Brief- und Schriftensammlung, sowie die Augsburger Täufermissionare Jörg Seyfried und Georg Weckerlin. In diesem Kreis kamen sie allerdings nur relativ selten, etwa vier Mal im Jahr, zusammen und hielten sich überhaupt in der Öffentlichkeit sehr zurück.

Marpecks theologische Wirksamkeit und schriftstellerische Tätigkeit konzentrierte sich in den Jahren nach 1544 vor allem auf die Auseinandersetzung mit den Lehranschauungen des Spiritualisten Kaspar von →Schwenckfeld. So nahm er zwar die Kreuzes- und Leidenstheologie Dencks und Huts auf, überwand aber deren Neigung zum Spiritualismus und zu apokalyptischer Spekulation. Waren bisher Täufertum und Spiritualismus gelegentlich gemeinsame Wege gegangen, trennten sie sich nun endgültig. Marpeck prägte hier mit seiner Theologie ein kirchenbewusstes Täufertum, das sich auf den Boden der altkirchlichen Bekenntnisse und der Reformation gründete. Darüber hinaus bemühte er sich sein Leben lang, eine Vereinigung der in Hutterer, süddeutsche Täufer und Schweizer Brüder gespaltenen Täuferbewegung zu erreichen. Diese Bemühungen führten zwar im Jahr 1554 zur Durchführung einer großen überregionalen Täuferkonferenz in Straßburg, an der über 600 Täufer teilgenommen haben sollen. Eine wirkliche Überwindung der die Täufer trennenden Überzeugungen konnte dabei allerdings wohl nicht erreicht werden. Pilgram Marpeck starb im Verlauf des Jahres 1556 in Augsburg.

Über Marpecks Tod hinaus beriefen sich die wenigen verbliebenen Täufer in Augsburg noch lange auf ihren großen Vorsteher und Lehrer. Auch in den Jahren 1562 und 1564 wurden außerhalb Augsburgs auf freiem Feld oder in Wäldern sowie auch vereinzelt innerhalb der Stadt weiterhin Täuferversammlungen durchgeführt. Das letzte Mal fanden dann Prozesse gegen Taufgesinnte im Jahr 1573 statt. Die Gemeindemitglieder Ulrich Ulmann und seine Frau Katharina berichteten, dass noch vor kurzem eine Versammlung an dem schon traditionell täuferischen Gottesdienstort, dem „Eichenloch“ bei Gersthofen nördlich von Augsburg, stattgefunden habe. Im November 1573 widerriefen dann alle damals vom Rat gefangengenommenen Täufer. Damit kam nach fast fünfzig Jahren die Geschichte der Augsburger Täuferbewegung in der Reformationszeit nun tatsächlich an ihr Ende.

4. Theologische Impulse

Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat das Vorurteil über die Täufer vom „schlichten untheologischen Handwerkerchristentum der kleinen Leute“ endgültig widerlegt. Wie für den Bereich des süddeutschen Täufertums im Weiteren gibt es auch für Augsburg zahlreiche theologische Selbstzeugnisse, die jedoch zumeist nur die Lehrmeinungen der jeweiligen Verfasser zu erkennen geben. Eine wichtige Augsburger Quelle aber geht in ihrer Bedeutung darüber hinaus, gibt sie doch einen Einblick in den inhaltlichen Konsens, in die theologischen Einflüsse und Themen, die die süddeutschen Täufer insgesamt betrafen und bestimmten. Es handelt sich um die von dem ehemaligen Priester und Vorsteher der Augsburger Gemeinde Jakob Dachser rechtzeitig zur Märtyrersynode im August 1527 herausgegebene Programmschrift mit dem Titel Ein göttlich und gründlich Offenbarung von den wahrhaftigen Widertäufern, mit göttlicher Wahrheit angezeigt. So jedenfalls – als Programmschrift – wurde sie sofort nach ihrem Erscheinen von Anhängern und Gegnern der Täufer angesehen. Der lutherische Theologe Urbanus Rhegius sah sich veranlasst, „in großer Eil“ noch im September 1527 eine Gegenschrift zur Warnung vor dem „neuen Tauforden“ herauszugeben, die an Umfang die Bekenntnisschrift Dachsers noch bei weitem übertraf.

Die Täuferbewegung in Süddeutschland war dieser Programmschrift zufolge in erster Linie Teil einer umfassenden allgemein radikal-reformatorischen Bußbewegung. Der Ruf zur Buße, zur Umkehr und zu Werken der Frömmigkeit durchzieht das Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Diesem eindringlichen Ruf zur Buße entspricht die entschiedene Kritik nicht nur an der alten Kirche, sondern auch an den neuen evangelischen Predigern. Daneben ist in der Schrift Dachsers vor allem der theologische Einfluss Hans Dencks zu erkennen. Auf ihn dürfte die Frontstellung zurückgehen gegen die Prädestinationslehre, die Relativierung einer nur auf die äußere Gestalt der Kirche sich beschränkende Reformation sowie das spiritualistisch anmutende Verständnis des Wortes Gottes als „Zuchtmeister in uns“, als „Prediger in unseren Herzen“. Huts Einfluss auf die süddeutschen Täufer erscheint dagegen begrenzter als bisher angenommen. Mit Ausnahme der merkwürdigen Lehre vom „Evangelium aller Kreaturen“ (entnommen wahrscheinlich aus der Taufschrift Huts) zeigen sich hier sonst keinerlei Einflüsse der Theologie Hans Huts oder gar Thomas Müntzers.

Die wichtigste Erkenntnis aus der Täuferschrift Jakob Dachsers aber dürfte darin zu sehen sein, dass in Augsburg als dem Zentrum des süddeutschen Täufertums in den Jahren seiner größten missionarischen Ausstrahlung zwischen 1525 und 1530 keine eigene Gemeindetheologie entwickelt wurde. Von der Taufe ist erst ganz am Ende des Buches die Rede ohne inneren Zusammenhang mit den anderen Themen und Fragestellungen. Sie wird zwar als Gläubigentaufe biblisch begründet, ekklesiologisch eingeordnet aber wird sie nicht. Von der Gemeinde, ihrer theologischen Fundierung und ihrer konkret erfahrbaren Gestalt steht in der ganzen Täuferschrift kein einziges Wort. Demnach war also das süddeutsche Täufertum tatsächlich eine theologisch ganz eigenständige Ausformung der frühen Täuferbewegung. Anders als bei den Schweizer Täufern, die zwar eine gesetzlich anmutende, aber doch biblisch orientierte Gemeindetheologie entwickelten, wurde in Augsburg die Gemeindestruktur nur von außen übernommen. Theologisch gesehen stand hier nicht die Gemeinde im Mittelpunkt, sondern der einzelne Mensch, seine Heiligung und seine Beziehung zu Gott. Das süddeutsche Täufertum verstand sich deshalb nicht so sehr als Konfession, sondern vielmehr als eine Kirchengrenzen überschreitende geistliche Bewegung. Die Reichweite und Ausstrahlungskraft dieses Täufertums waren deshalb besonders groß. Sein Zusammenhalt und seine Stabilität waren infolgedessen aber auch besonders gefährdet, nicht nur aufgrund der äußeren Verfolgung, sondern eben auch von innen her, durch die eigene individualistische und spiritualistisch beeinflusste Theologie.

5. Mennonitisches und freikirchliches Gemeindeleben in Augsburg

Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es nur sporadische Zeugnisse über einzelne mennonitische Familien in der Umgebung von Augsburg. Erst 1926 kam es hier zur Gründung einer eigenständigen Mennonitengemeinde. Heute umfasst diese Gemeinde ca. 40 Mitglieder. Gottesdienste werden einmal im Monat im CVJM-Haus in der Ulmer Straße 25 gefeiert (vgl. www.mennonitengemeinde.de).

Vom 11. bis 12. Februar 2017 fand eine Veranstaltung der →Mennonitischen Weltkonferenz mit mehr als zweihundert Teilnehmern zur Eröffnung der Dekade „Renewal 2027“ („Erneuerung 2027“) statt, die an die Anfänge der Täuferbewegung erinnern und zugleich der Erneuerung und Vertiefung des von den Täufern geprägten christlichen Glaubens dienen soll.

Neben der Mennonitengemeinde gibt es heute in Augsburg zahlreiche weitere täuferisch gesinnte freikirchliche Gemeinden baptistischer, kongregationalistischer bzw. pfingstkirchlicher Prägung: Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde (Baptistengemeinde), mit ca. 300 Mitgliedern, die Freie evangelische Gemeinde mit 100 Mitgliedern, die Freie Christengemeinde Arche mit ca. 200 Mitgliedern und die Pfingstgemeinde mit ca. 50 Mitgliedern.

Quellen

Ungedruckte Quellen im Stadtarchiv Augsburg (Literaliensammlung, Ratsbücher, Dreizehner-Protokolle, Steuerbücher, Strafbücher, Urgichtensammlung, Selekt Wiedertäufer und Religionsakten, Selekt Schwenckfeldiana und Reformationsakten). - Jakob Dachser, Ein göttlich und gründlich Offenbarung von den wahrhaftigen Widertäufern mit göttlicher Wahrheit angezeigt, Augsburg 1527. - Hans Denck: Schriften. Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 6, Bibliografie. Religiöse Schriften. Exegetische Schriften, Gütersloh 1955–1960. - Hans Hut, Von dem Geheimnis der Tauf, Augsburg 1527. - Urbanus Rhegius, Wider den neuen Tauforden notwendige Warnung an alle Christgläubigen, Augsburg 1527.

Literatur

Clarence Bauman, The Spiritual Legacy of Hans Denck. Interpretation and Translation of Key Texts, Leiden 1991. - Stephen B. Boyd, Pilgram Marpeck. His Life and Social Theology, Mainz 1992. - Claus-Peter Clasen, The Anabaptists in South and Central Germany, Switzerland and Austria, Goshen, Ind., 1978. - Bernd Dahlenburg, Die radikale Reformation – Täufer des 16. Jahrhunderts in Augsburg und Münster, Magisterarbeit, 2008 (1999). - Monika Gockel, Täufer in Augsburg – Geschichte, heutige Erscheinungsformen, Theologie, Zulassungsarbeit Augsburg 1985. - Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung, 2. Aufl., München 1988. - Günther Goldbach, Hans Denck und Thomas Müntzer – ein Vergleich ihrer wesentlichen theologischen Auffassungen. Eine Untersuchung zur Morphologie der Randströmungen der Reformation, theol. Dissertation, Hamburg 1969. - Hans Guderian, Die Täufer in Augsburg. Ihre Geschichte und ihr Erbe. Ein Beitrag zur 2000-Jahr-Feier der Stadt Augsburg, Pfaffenhofen 1984. - Hans Guderian, Gemeinde zwischen Sekte und Bewegung. Zur Ekklesiologie des süddeutschen Täufertums, in: Theologisches Gespräch 1/1988, 1–9. - Friedrich Roth, Augsburgs Reformationsgeschichte, 4 Bände, 2. Aufl., München 1901–1911. - Ders., Zur Geschichte der Wiedertäufer in Oberschwaben. II. Zur Lebensgeschichte Eitelhans Langenmantels von Augsburg, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg. Jg. 27, Augsburg 1900, 1–45. - Ders., Zur Geschichte der Wiedertäufer in Oberschwaben, III. Der Höhepunkt der wiedertäuferischen Bewegung in Augsburg und ihr Niedergang im Jahr 1528, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg. Jg. 28, Augsburg 1901, 1–154. - Anselm Schubert, Täufertum und Kabbalah. Augustin Bader und die Grenzen der Radikalen Reformation, Gütersloh 2008. - Gottfried Seebaß, Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut (gest. 1527), Habilitationsschrift, Erlangen 1972. - Friedwart Uhland, Täufertum und Obrigkeit in Augsburg im 16. Jahrhundert, Tübingen 1972. - Gerhard Werthan, Zur Geschichte der Augsburger Täufer im 16. Jahrhundert. Wissenschaftliche Zulassungsarbeit, München 1972. - Alejandro Zorzin, Ludwig Hätzer als täuferischer Publizist (1527–1528), in: Mennonitische Geschichtsblätter 2010, 25–49.

Hans Guderian

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